Flucht mit 16 Jahren: Lala: „Nicht mal meine Eltern wussten was“

Von: Von LARS BEIKE

Er war 14 Jahre das Herz der Roten. Altin Lala (36), Kapitän und Kämpfer.

Einer, der nichts mehr verabscheut als Unehrlichkeit und Ungerechtigkeit. Der immer alles gegeben hat. Der sich bedingungslos reinhaut – für seine Familie, seine Freunde, seinen Klub. Das haben die Fans bei ihm gespürt wie bei keinem anderen - und „ihrem Altin“ deshalb letzten Samstag einen Giganten-Abschied bereitet.

Exklusiv in BILD ab heute die große Lala-Serie: Meine roten Jahre. In Teil 1 geht es um die Flucht aus Albanien.

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November 1991. Offenbach, Stadion Bieberer Berg. Nach einem U16-Länderspiel flüchten zehn albanische Jugendspieler. Einer von ihnen: Altin Lala.

Seinen Eltern in Tirana hatte er vorher nichts gesagt. „Ich konnte nicht. Sie hätten mich nicht gehen lassen. Nur mein Bruder wusste es.“

Albanien öffnete sich gerade etwas, war im Umbruch – und bitterarm. „Oft gab es nicht mal Brot“, sagt Altin. „Meine Freunde sagten: Komm‘ bloß nicht zurück!“

Am Abend vor dem Spiel trafen sich die Spieler in einem Hotelzimmer. Wer bleibt hier? Zehn Arme gingen hoch – auch der von Altin.

Morgens beim Frühstück stopft er Brot, Butter und Marmelade in die Hosentaschen. „Ich hatte von meinem Vater nur 20 Mark und 20 Schweizer Franken. Was sollte ich essen? Bananen kosteten vier Mark das Kilo.“

Spielen (1:8 gegen Deutschland mit Lars Ricken), duschen, abhauen, das war der Plan. Aber der Trainer hatte alle Pässe kassiert.

„Wir wurden nervös, warteten in der Kabine.“ Und dann sind sie einfach los gerannt. Die Sporttaschen ließen sie in der Kabine liegen.

Seine erste Nacht in Deutschland verbrachte Altin in Offenbach bei einem ehemaligen albanischen Schulfreund, der zwei Jahre zuvor geflüchtet war – auf dem Fußboden. Aber egal. „Deutschland war für mich das Paradies.“

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Aber noch lange nicht paradiesisch. Aufnahmelager Schwalbach bei Frankfurt, dann zwei Monate Hattersheim. Vier Mann auf einem Zimmer.

„Irgendwie habe ich immer gefroren“, erinnert sich Altin. „In Albanien war´s warm, hier Winter und 0 Grad – und wir hatten nur dünne Sachen.“

Aber der kleine, schmächtige Kerl aus Albanien, gerade mal 16, biss sich durch – wie danach noch so oft.

Die Sprache? Konnte er nicht. „Zwei Worte: Danke und Sch... Ich lief durch die Gegend wie ein Taubstummer.“ Aber er lernte. Und der Fußball half ihm.

B-Jugend SpVgg Hosenfeld. Mit zwei anderen Albanien-Flüchtlingen mischte Lala die Liga auf. Torwart, riesengroß, Mittelfeldspieler groß – und vorne Altin. Fußball war alles. Er wohnte mit sieben anderen in einer Wohnung.

Von Borussia Fulda kam der A-Jugend-Trainer. Okay, Ihr beiden! Und zeigte auf die Großen. Einer rief von hinten: Der spielt auch gut! Der Trainer schaute runter auf Altin: Ja, gut! Du auch!

Als Asylant durfte Altin keine Ausbildung machen – aber arbeiten. Und er malochte. Möbelhaus, Teppiche schleppen. Dann mit 18 der erste Vertrag bei Borussia Fulda, 1200 Mark. Und der nächste Job. Gastronomie-Großhandel. Da belieferte er auch eine Pizzeria, das „San Remo“ am Buttermarkt. Echte Italiener – mit Tochter...

Mit Fulda ging es hoch in die 3. Liga, beruflich aufwärts. „Ich wechselte ins Lager vom Media Markt – ein echter Aufstieg für mich“, lacht Altin. Und bei Vittoria, der hübschen Tochter aus der Pizzeria, kam er auch voran.

Im März ´97 funkte es in der Disko. Sie fragte: „Was machst du?“ Altin ganz stolz: „Ich spiele Fußball.“ Sie: „Ja, schön – und beruflich???“ Ein paar Monate später ist Fußball sein Beruf...

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Reinhold Fanz war 96-Trainer, kannte Lala aus der Hessen-Auswahl. Ein Wechsel im Januar ’98 scheiterte, weil Fulda die 60000 Mark Ablöse von 96 ablehnte. Im Sommer war es dann so weit: Altin wurde ein Roter.

Verhandlungen bei Fanz auf dem Sofa in Ehlershausen, Franz Gerber war auch dabei. „Er hat nicht viel gesagt, nur geguckt.“ Den Vertrag machte Altin dann mit Martin Kind. Für Lala war es sein erster 96-Vertrag, für Kind der erste überhaupt.

Eine Begegnung, die beide prägt. Lala: „Es war was Besonderes. Wir haben uns gleich verstanden. Auf Martin Kind kann man sich 100-prozentig verlassen. Handschlag reicht. Er steht zu seinem Wort. So ein Typ ist er.“ Und so ein Typ ist auch Altin.

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