Charme und gutes Aussehen können, keine Frage, eine Last sein. Doch werden Menschen, die beides haben, selten freiwillig darauf verzichten. Denn beides kann ihnen das Leben retten. So wie Albert Speer.
Eigentlich wäre der wahrscheinlich einzige persönliche Freund, den Hitler in der Zeit seiner Herrschaft noch gewann, im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher ein klarer Kandidat für den Strick gewesen. Nicht nur hatte Speer jahrelang die Machtentfaltung seines „Führers“ inszeniert. Zusätzlich trimmte er ab 1942 die deutsche Rüstungsindustrie derartig auf Effizienz, dass allein dadurch der Krieg sicher um einige Monate, vielleicht auch um ein ganzes Jahr verlängert wurde. Ein bis zwei Dutzend Millionen Menschen kostete dieses Durchhalten des Dritten Reiches das Leben.
Doch dank seines Charmes und seines guten Aussehens konnte sich Albert Speer der verdienten Strafe entziehen: Er gab stets genau das zu, was ihm nachgewiesen werden konnte, aber er tat es auf eine Art, dass selbst skeptische Beobachter ihm glaubten.
Auf diese Weise stilisierte sich Speer zum „guten Nazi“, zum Kronzeugen für unzählige Deutsche seiner Generation, die sich ein Beispiel an ihm nahmen und so taten, als seien sie eigentlich „anständig“ geblieben. Was aber für normale Menschen ohne herausgehobene Funktionen in Hitler-Deutschland schon schwierig war, konnte ein Mitglied der engsten Führung des NS-Regimes mit Sicherheit nie erreichen: schuldlos bleiben.
Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände südöstlich von Nürnbergs Innenstadt zeigt jetzt in einer neuen Ausstellung, wie Speer es jahrzehntelang schaffte, sein eigenes Leben als das eines Saubermanns darzustellen. Dazu räumt die Schau mit den von ihm selbst geschaffenen Legenden auf. Anhand historischer Dokumente wird gezeigt, dass Speer keineswegs ein unpolitischer Technokrat war, der von den Gräueltaten der Nationalsozialisten nichts wusste.
Im Gegenteil war Speer einer der hauptverantwortlichen Täter des NS-Regimes. Zu Recht betonen die Ausstellungsmacher, dass der 1905 geborene Architekt maßgeblich an der Judenverfolgung sowie den Verbrechen in den Konzentrationslagern und der Ausbeutung von Zwangsarbeitern beteiligt war.
Das hätten die Westdeutschen nach 1945, besonders nach dem Erscheinen von Speers „Erinnerungen“ 1969 nicht hören wollen, sagt Museumschef Florian Dierl. Die Deutschen hätten nach dem Zweiten Weltkrieg ein „starkes Bedürfnis nach Selbstentlastung“ gehabt.
„Speers Legenden dienten der Entschuldung einer ganzen Nation“, sagt Kurator Alexander Schmidt. Ein typischer Satz Speers sei gewesen: „Wenn man hätte wissen wollen, hätte man wissen können“, ergänzt seine Kollegin Martina Christmeier. „Alle Deutschen fühlten sich durch diese Aussagen entschuldigt. Wenn schon ein Minister nichts weiß, dann muss man auch selbst nichts gewusst haben.“ Die alleinige Verantwortung wurde Diktator Adolf Hitler zugeschoben.
Bis heute sind Speers „Erinnerungen“ lieferbar, werden immer noch einige Tausend Mal im Jahr verkauft – öfter als viele weitaus bessere, kritische Studien über den Nationalsozialismus. Immer noch ist die erstmals 1973 erschienene Hitler-Biografie von Joachim Fest im Angebot. Sie ist zwar einerseits ein wirklich gutes Buch, das aber andererseits stark von Speers Deutungen beeinflusst ist, wie Fest selbst in einem seiner letzten Interviews einräumte.
Anfang Juni erscheint eine neue, seit Langem die erste wirklich kritische wissenschaftliche Biografie Albert Speers, verfasst von Magnus Brechtken, dem Vizechef des renommierten Münchner Instituts für Zeitgeschichte. Naturgemäß kann eine Ausstellung nicht ein vergleichbares Niveau an Differenzierung bringen. Doch die Ansätze der Nürnberger Historiker sind auch nicht schlecht.
Die Entlastungsaussagen verfasste – Albert Speer
Sie wollen einen „Blick in die Fälscherwerkstatt“ bieten und beispielsweise zeigen, wie sich Speer ein Alibi für eine zentrale Behauptung verschaffte. Es ging um die Frage, ob er im Oktober 1943 bei einer Rede Heinrich Himmlers in Posen anwesend war und zuhörte. Dabei bekannte sich der SS-Chef offen zum Massenmord.
Mit seiner in Dokumenten belegten Teilnahme an der Tagung konfrontiert, bestätigte Speer, er sei zwar in Posen gewesen, aber vor Himmlers Rede zu einem anderen Termin abgereist. Er ließ sich diese Darstellung von Zeugen bestätigen. Doch die Vorlagen für deren Entlastungsaussagen verfasst niemand anders als: Albert Speer.
Schon länger ist bekannt, dass er detailliert über den Ausbau und den Zweck des KZ Auschwitz-Birkenau Bescheid wusste und auch Baumaterial für dessen umfassenden Ausbau genehmigte. Entsprechende Dokumente werden in der Schau gezeigt.
„Wir wollten eine Ausstellung über Speer ohne Speer machen“, sagt Alexander Schmidt. Denn jedes Wort von ihm steht unter Manipulationsverdacht und sollte deshalb mit Vorsicht betrachtet werden. In Nürnberg, darauf deuten verschiedene überlieferte Quellenfragmente hin, war Speer selbst überrascht, mit seiner Strategie Erfolg zu haben. Vielleicht hat er selbst die Wirkung unterschätzt, die sein Charisma und sein bis ins hohe Alter sehr gepflegtes Äußere auf seine Mitmenschen hatten.
Überfälliger Denkmalsturz
Spätestens in der 20-jährigen Haft im Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau aber lernte er, diese Gaben systematisch einzusetzen. Seit 1967 verbreitete er dann in der westdeutschen Öffentlichkeit seine Legende.
Sie könnte jetzt, nach einer Reihe kritischer Spezialstudien und auch guter TV-Dokumentationen, von der Nürnberger Ausstellung und dem kurz darauf erscheinenden Buch von Magnus Brechtken zerstört werden. Überfällig ist ein solcher Denkmalsturz. Dringend überfällig – gerade wegen seines auch posthum noch wirksamen Charismas.
„Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg; bis 26. November
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