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Netzer, der ewige Spielmacher

Früher zog er die Fäden im Mönchengladbacher Mittelfeld, jetzt in der ganzen Fußball-Welt. Günter Netzer erreicht die höchste Sprosse seiner Karriereleiter

Der Erfolg kommt manchmal viel lieber zu denen, die ihn gar nicht mit aller Macht wollen. Und mit dem Erfolg kommt die Macht. Seit Donnerstag gehört Günter Netzer, 58, zu den mächtigsten Männern des Fußballs, in Deutschland und in der Welt. Der Mann, dem ein paar Spiele zur Unsterblichkeit als Regisseur auf dem Rasen verhalfen, hält plötzlich wieder alle Fäden in der Hand. Als König der Sportrechte, die er als Repräsentant eines Manager-Konsortiums der Kirch Sport AG von dem insolventen Mutterunternehmen KirchMedia übernahm, für geschätzte 300 Millionen Euro. Und alle wundern sich ganz fürchterlich, am meisten vielleicht Netzer selbst.

Er, der Sohn eines Gemüsehändlers aus Mönchengladbach, einer Stadt, deren Namen durch ihn berühmt wurde, soll der Pate des Fußballs sein? "Ich bin weder ein Geld- noch ein Machtmensch", sagt Netzer, "und es ist zu viel des Guten, dass ich als der Macher hingestellt werde. Der entscheidende Mann ist Robert Louis-Dreyfus." Aber der Verweis auf andere, in diesem Fall auf den ehemaligen Vorstandschef von Adidas, der den spektakulären Deal als Finanzier angeschoben hat, ist nicht mal die halbe Wahrheit, bei aller Bescheidenheit. Wer im Licht steht, ist Netzer.

Wie seit fast 40 Jahren, in wechselnden Rollen. Netzer, das Mittelfeld-Genie mit feinem Fuß, trotz Schuhgröße 47. Netzer, der Erfolgsmanager. Netzer, der Fernsehkommentator, dem man alles glaubt. Netzer, der Träger des Adolf-Grimme-Preises. Netzer, der Kolumnist. Netzer, der Werbeträger, der siebenstellige Summen kassiert. Und jetzt auch noch Netzer, der Strippenzieher.

Andere haben mehr Titel gewonnen, und doch er wurde zur Kultfigur, zur Legende. Weil er alles unter einen Hut brachte: Frauen, Ferraris, Feiern, Frisur und Fußball. Und weil er die Fähigkeit hatte, Kompliziertes auf dem Platz auf entwaffnend einfache Weise zu lösen.

Der ehemalige Präsident des Hamburger SV, Peter Krohn, erkannte diese Gabe auch abseits des Fußballfeldes. Nachdem Netzer seine aktive Laufbahn 1977 bei Grasshoppers Zürich hatte ausklingen lassen und vor der Frage stand, was er im wahren Leben, mit einem bedeutenden Namen und einem eher unbedeutenden Abschluss der Handelsschule versehen, denn anfangen solle, war Krohn da. Netzer wollte die Stadionzeitung des HSV auf Vordermann bringen. Nachdem er zwei Stunden mit dem Präsidium über dieses Thema verhandelt hatte, wurde der künftige Arbeitsbereich um einen klitzekleinen Punkt erweitert, es hieß plötzlich: "Gut, Herr Netzer, Sie kriegen die Zeitung. Aber nur, wenn Sie bei uns auch Manager werden."

Der Erfolg kommt manchmal viel lieber zu denen, die ihn gar nicht mit aller Macht wollen. Netzer folgte der Erfolg. "Als er kam, begann die große Zeit des HSV, und als er ging, endete sie." Sagt der damalige Spielmacher Felix Magath, obwohl er Netzer als Manager folgte. Drei Meistertitel und einen Europacup gewannen die Hamburger mit Netzer. "Er war schon auf dem Platz kein Malocher", so Magath, "und als Manager wohl auch nicht." Netzer machte es wie früher als Spieler: Übersicht behalten, im richtigen Moment eingreifen. Nicht schuften, sondern denken und lenken. Netzer holte die damals besten verfügbaren Trainer, Branko Zebec und Ernst Happel, und kaufte ihnen die passenden Spieler. Netzer hielt sich nie mit Detailfragen auf, er ließ seine Erscheinung wirken und verließ sich auf seinen Instinkt: "Ich mache meinen Job so, wie ich ihn empfinde."

Netzers Karriere-Episoden erzählen immer auch von der Leichtigkeit des Seins. "Ich hatte nicht die blasseste Ahnung von meinem neuen Job, ich habe in meinem Leben nie etwas geplant", gibt er zu. "Ich nahm es immer, wie es kam, und dann tat ich, was ich konnte." Netzer wurde immer gefragt, er selbst fragte nie. "Immer hat irgendwer Qualitäten an mir entdeckt, die er für sich gebrauchen konnte."

Diesmal war es Louis-Dreyfus, 1986 Cesar W. Lüthi, Inhaber der Schweizer Marketingagentur CWL, dem Netzer Türen öffnen sollte. Dieser Mann könne einfach überzeugend auftreten und sei gerade heraus, befand Lüthi, und das bringe was. Der Rest sei erst mal Nebensache. Als der Hamburger Vereinspräsident Jürgen Hunke einmal nach Kreuzingen in die Schweiz reiste, um sich aus dem Vermarktungsvertrag mit CWL herauszukaufen, sagte Netzer: "Wenn ihr unsere Partnerschaft nicht mehr wünscht, könnt ihr raus." Ohne Abstandssumme. Hunke fielen die Kinnladen herunter, der Kaufmann fühlte sich in seiner Eigenschaft als Ehrenmann fast düpiert - beinahe wäre er deshalb bei CWL geblieben.

Der Erfolg kommt manchmal viel lieber zu denen, die ihn gar nicht mit aller Macht wollen. Und oft bringt er Neider mit sich. Es ist Netzers Kunst, dass er wenig Feinde hat. Schon Berti Vogts sagte: "Für den Günter werde ich immer laufen." Heribert Bruchhagen, Anfang der 90er-Jahre Manager bei Schalke 04, hatte Netzer vier Monate lang als Chef. "Es lief zwischen uns hervorragend", sagt Bruchhagen, "und zwar so, dass ich die Arbeit gemacht habe, und Netzer dafür ein wunderbares Gehalt gekriegt hat." Dennoch hegt Bruchhagen keinen Groll: "Man kann ihm einfach nicht böse sein." Nur die Lebensgefährtin des Präsidenten Günter Eichberg war nicht zufrieden mit Netzer, sie hatte sich von dem Vereinsberater auch den Zugang zur gehobenen Society erhofft. Doch das Glück, das küsst nur den, der es verdient. Sonnenkönig Eichberg war ein Blender, Netzer ein Schwergewicht an Leichtigkeit.

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Immer erkannte er, wer ihm gut tat. Ob 1987, als er Elvira Lang, ein ehemaliges Modell, heiratete und mit ihr Tochter Alana bekam. Ob 1998, als er mit ARD-Moderator Gerhard Delling die WM kommentierte. Im Gegensatz zu Netzers erstem TV-Versuch Ende der 80er-Jahre, bei dem er mit Quasselstrippe Uli Potofski an der Seite ein eher klägliches Bild abgab, nahm sich Delling zurück und ließ Netzer wirken. Delling nahm sich eine Weisheit zu Herzen, die Netzer-Biograf Ulfert Schröder bereits 1993 so festhielt: "Das Fußballfeld ist eine Bühne und Netzer ist ihr bester Mime."

Nur zu seiner Hamburger Zeit hätte das Glückskind beinahe eine Möglichkeit verpasst. Ein jugendlicher Fan hatte Netzer einen Umschlag zugesteckt: "Du hast Sonntag Geburtstag. Das ist mein Geschenk für dich." Unwillig nahm Netzer das Kuvert, fand später einen Lottoschein darin, den er zunächst achtlos wegwarf. Bis er die Lottozahlen in der Zeitung sah und noch mal verglich: Es waren fünf Richtige mit Zusatzzahl. Der Fan tippte seit Jahren, immer die gleichen Zahlen: Netzers Geburtstag (14.9.44), seine Länderspiele (37), dabei geschossene Tore (6) und seine Schuhgröße (47). Der Star und sein Fan hatten jeder 150 000 Mark gewonnen. Netzer machte daraus 225 000 für den Fan und 75 000 für sich.

Der Erfolg kommt manchmal viel lieber zu denen, die ihn gar nicht mit aller Macht wollen. Der neue mächtige Mann hinter den Kulissen des deutschen Fußballs, der hat es raus. Man muss nur die richtigen Leute treffen, zur richtigen Zeit, dann ist alles ganz leicht, kindernetzerleicht.


Ausschnitte aus Günter Netzers Werdegang

1963 Mit 18 Jahren unterschreibt Netzer seinen ersten Profivertrag in Gladbach, mit einem Grundgehalt von 160 Mark im Monat plus zehn Mark Prämie pro Spiel.

1971 Im Europapokal bezwingt Netzer mit wehender Mähne Inter Mailand mit 7:1, viele Experten halten die Begegnung für sein bestes Spiel im Borussen-Trikot überhaupt, obwohl das Ergebnis später wegen eines Büchsenwurfs annulliert wird.

1972 Netzer war Regisseur der deutschen Nationalelf, die in Belgien die EM gewann. Höhepunkt des Teams, das vielerorts als beste DFB-Auswahl aller Zeiten bezeichnet wird, war ein 3:1 gegen England in Wembley.

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1978 Netzer beendet 1977 seine aktive Laufbahn nach den Stationen Gladbach, Real Madrid und Grasshoppers Zürich und wird im Januar 1978 Manager des Hamburger SV. Er holt zunächst Branko Zebec, später Ernst Happel als Trainer und gewinnt drei Mal die Deutsche Meisterschaft, einmal den Europapokal der Landesmeister. Netzers Amtszeit endet 1986.

1986 Mit 42 Jahren tritt Netzer in die Werbeagentur des Schweizers Cesar W. Lüthi ein und wird dort Geschäftsführer. Später wird CWL von Leo Kirch aufgekauft.

1988 Als der Privatsender RTL die Fernsehrechte an der Fußball-Bundesliga erwirbt und die alte ARD-Sportschau von der Sendung "Anpfiff" abgelöst wird, ist auch Netzer am Ball. Er fungiert als Co-Moderator von Uli Potofski (Foto rechts) - allerdings mit eher mäßigem Erfolg.

1991 Im August wird Netzer ohne rechten Enthusiasmus Berater des FC Schalke 04. Dessen Präsident Günter Eichberg bessert sein Angebot finanziell so oft nach, bis Netzer nicht mehr ablehnen kann. Die Zusammenarbeit dauert jedoch nur einige Monate an. Später wirbt Netzer außerdem für die Dresdner Bank und wird Kolumnist bei der Fachzeitschrift "Sport-Bild".

2000 Im März bekommen NDR-Moderator Gerhard Delling und Netzer für ihre gemeinsame Präsentation der Fußball-Länderspiele in der ARD den Adolf-Grimme-Preis in der Kategorie "Spezial".

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