Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 19 / 68

WAFFENHANDEL Mit Billetal und BND

In einem Verfahren gegen die Bonner Waffenhandelsfirma Merex wegen illegaler Geschäfte berufen sich die Beschuldigten auf staatliche Protektion -- durch den Bundesnachrichtendienst.
aus DER SPIEGEL 47/1974

Der Einäugige war immer dabei: Er stand an der Gangway, als der Bonner Wirtschaftsminister Hans Friderichs vorletzte Woche in der saudiarabischen Hauptstadt Riad landete. Er war unter den Gästen der Party, die Bonns Botschafter Norbert Montfort zu Ehren des hohen Besuches aus der Heimat in der Oase Al Hajjr gab. Er begleitete den Minister und seine Delegation zur Audienz bei König Feisal, und auch als die Saudis ihre Staatsgäste auf dem Flughafen wieder verabschiedeten, fehlte er nicht. Nie hatte er Schwierigkeiten, Kontrollen und Absperrungen der arabischen Sicherheitsbeamten zu passieren -- obwohl er Delegationsmitgliedern in unverkennbarem Berliner Tonfall bescheiden versicherte: »Ich bin als Tourist hier, die Sonne scheint doch so schön.«

Über die Gründe, die dem Touristen zu derart offenkundigem Wohlwollen der Orientalen verholfen haben, hegt zumindest die Bonner Staatsanwaltschaft keinen Zweifel. Sie beschuldigt den Gerhard Georg Mertins, 55, Waffenhändler aus Heisterbacherrott bei Bonn, in den Jahren 1965 bis 1967 illegale Geschäfte getätigt zu haben -- mit Saudi-Arabien, aber auch mit Indien und Pakistan. Am 22. Oktober hat der Zweite Strafsenat des Kölner Oberlandesgerichts beschlossen, daß dem Kriegsgeräte-Exporteur vor der Vierten Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn demnächst der Prozeß gemacht werden soll.

Mertins, Chef der Bonner Firma Merex AG, wird von der Staatsanwaltschaft Bonn vorgeworfen, zusammen mit drei Mitarbeitern vorsätzlich gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen zu haben, weil sie Kriegswaffen ohne die notwendige Genehmigung durch die zuständigen Bundesbehörden in Spannungsgebiete exportiert hätten. Außerdem habe sich Mertins ungerechtfertigte Steuervorteile verschafft.

Zugleich werden in dem Verfahren auch die Praktiken des Bundesnachrichtendienstes (BND) und der Bundesregierung unter CDU-Kanzler Ludwig Erhard zur Sprache kommen. Denn die Merex-Leute verteidigen sich mit der Behauptung, daß Bundesnachrichtendienst und Ministerialbeamte diese Geschäfte gefördert oder veranlaßt hätten.

Entgegen den Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes, das Kriegswaffen-Exporte in Spannungsgebiete verbietet, soll Mertins in Abstimmung mit dem BND zwischen 1965 und 1967 Waffen und Munition an die Araber, die sich zum Krieg gegen die Israelis rüsteten, sowie an die miteinander verfeindeten Inder und Pakistanis geliefert haben.

Im einzelnen werden den Waffenhändlern folgende illegale Geschäfte angelastet: die Lieferung von

* 28 Flugzeugen des Typs »Seahawk« für 3,5 Millionen Mark wowie von Flugzeug-Zellen, Strahlturbinen und Bordkanonen im Gesamtwert von 750 000 Mark an Indien;

* 89 Kampfflugzeugen des Typs F-86 »Sabre VI« für rund zehn Millionen Dollar sowie von Munition im Gesamtwert von mehr als 7,6 Millionen Dollar an Pakistan;

* Geschützen, Raketen, Maschinengewehren, Minen und Panzerfäusten für 4,5 Millionen Dollar sowie von Munition, Ersatzteilen für Panzerfäuste und anderem Kriegsmaterial im Wert von knapp einer Million Dollar an Saudi-Arabien. Das Kriegsmaterial, zum überwiegenden Teil aus überschüssigen Beständen der Bundeswehr, war von den zuständigen Behörden zur Ausfuhr nur freigegeben worden, weil -- so die Ermittlungen -- Mertins in Zusammenarbeit mit dem BND unrichtige Exportinformationen abgegeben hatte. Die Lieferungen waren angeblich für die Nato-Länder Italien und England sowie für den spannungsfreien Iran bestimmt. Zur weiteren Tarnung der wirklichen Empfänger seien zudem auch in den Ladepapieren falsche Bestimmungshäfen angegeben und Rechnungen an Schein-Empfänger adressiert worden.

So habe sich etwa Mertins am 27. Juli 1965 beim Abschluß eines Vertrages mit dem iranischen General Hassan Alavikia von seinem Partner ein Endverbleibszeugnis ausstellen lassen, wonach die gelieferten Waffen im Wert von 4,5 Millionen Dollar allein der Ausrüstung der Schah-Armee dienen sollten. In Wahrheit aber sei Saudi-Arabien der eigentliche Empfänger der Merex-Ware und Mertins-Vertragspartner gewesen.

Dies gehe unter anderem auch aus einer Mertins-Aktennotiz vom 3. Oktober 1966 hervor, wonach bis Oktober 1966 iranische Regierungs- und Militärkreise, darunter insbesondere General Alavikia, mehrfach als Vermittler für saudi-arabische Waffenkäufe aufgetreten seien.

Den größten Teil des Geräts bezog Mertins von der bundeseigenen Firma Vebeg, die den Verkauf von überschüssigem Bundeswehrmaterial betreibt. Mit Hilfe des von Alavikia erteilten Endverbleibzeugnisses habe die Firma Merex AG vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft die Genehmigung erhalten, das Material in den Iran auszuführen.

In dm Ausfuhrerklärungen. so stellte sich heraus, war Schahpur im Iran als Zielhafen angegeben worden. Das Zollamt Nordenham fertigte die Ladung für das Motorschiff »Billetal«, Eigentum der Firma Merex. ab, und die »Billetal« lief am 7. November 1965 aus. Sie fuhr geradenwegs nach Damman in Saudi-Arabien und wurde dort entladen.

Der Verkauf von 89 Kampfflugzeugen vom Typ F-86 Sabre VI zum Preis von zehn Millionen Dollar soll sich nach dem gleichen Schema vollzogen haben. Auch dieser Vertrag wurde zum Schein mit den Persern abgeschlossen. Tatsächlich seien die Flugzeuge von vornherein für Pakistan bestimmt gewesen. Mertins habe Lieferverhandlungen direkt mit der pakistanischen Botschaft in Bonn geführt.

Wieder lieferte die Vebeg, wieder gab das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft die Ausfuhrgenehmigung. Nach der Zollabfertigung in Oldenburg wurden die Maschinen 1966 laut Behörden-Befund auf Kosten der Merex AG von Bundeswehrpiloten zunächst nach Vahdati/Iran geflogen Lind von dort an die pakistanischen Vertragspartner der Firma Merex AG weiterbefördert.

Auch Pakistans Gegner Indien wurde bedient. 28 »Seahawk«-Maschinen nebst Triebwerken und Ersatzteilen erwarb die Merex von der Bundesfirma Vebeg für 1,6 Millionen Mark. Die indische Regierung zahlte 35 Millionen. Die »Seahawks« waren -- offiziell -- für die Firma Tirenna AG in Rom bestimmt und sollten laut Begleitpapieren in Neapel entladen werden. Doch der Merex-Frachter »Billetal« machte am 23. Juli 1966 im indischen Hafen von Kotschin fest und lud die Flugzeuge dort aus. In dieses Unternehmen soll auch die hundeseigene Speditionsfirma Schenker & Co. verwickelt gewesen sein.

Sieben Flugzeug-Zellen, 19 Strahlturbinen, 107 Bordkanonen erreichten nach den Feststellungen der Fahnder die Inder 1967 auf dem Umweg über England. Die Ware wurde zur Tarnung an die Londoner Firma Hildeak -- bei vier Prozent Provision für die Briten -- verhökert, mit der »Billetal« zunächst nach Holhaven an der Themse geschippert, dort englischen Bestimmungen gemäß ausgeladen und dann wieder auf der »Billetal« verstaut. Am 7. Juli 1967 lief das Schiff wieder aus -- nach Kotschin in Indien, wo es im August 1967 entladen wurde.

Warum die Geschäfte des Waffenhändlers Mertins so gut gedeihen konnten, hat der Kölner Rechtsanwalt Lothar Bungartz, einer der Mertins-Verteidiger, in einem Schriftsatz erläutert. Danach seien »alle zum Gegenstand der Anklage gemachten Geschäfte im jeweiligen Einvernehmen mit dem Bundesnachrichtendienst und Ministerien des Bundes sowie sonstigen Dienststellen eingeleitet und durchgeführt worden«.

Sein Mandant, so Bungartz, habe sich nichts zuschulden kommen lassen: »Täter sind vielmehr die einzelnen Angehörigen des BND, die durch Dienstrechte gerechtfertigt sind.« Mertins habe nur Beihilfe geleistet, und »da die Haupttat gerechtfertigt ist, entfällt eine Bestrafung":

Der Mertins-Anwalt bemüht sich um den Nachweis, daß die Merex AG nur ein Rädchen im großen Waffenschiebe-Geschäft der westdeutschen Geheimdienstier gewesen sei. Der BND habe in die Abwicklung der Mertins-Geschäfte die Deutsche Bank in Köln eingeschaltet und für die Versicherung der einzelnen Lieferungen den Gerling-Konzern vorgeschlagen.

Der Gerling-Konzern hatte laut Bungartz das Transportrisiko abzudecken. Dieses Risiko sollte nach Weisung des Bundesnachrichtendienstes nicht international rückversichert werden. Die Firma Merex habe deshalb von der Reederei Reinecke auf Empfehlung eines Mitarbeiters im Verkehrsministerium die »Billetal« erworben. Dank des eigenen Transportmittels und der Einschaltung von Gerling entfiel die Notwendigkeit einer internationalen Rückversicherung. Bungartz: »Über die internationale Rückversicherung (Lloyds) hätte der Transportweg festgestellt werden können.«

Außerdem wurde laut Bungartz vom BND die bundeseigene Firma Schenker & Co., Düsseldorf, als Transportunternehmen eingeschaltet, die aus den Frachtpapieren unzweideutig habe erkennen können, daß Käufer und Empfänger der von Merex gelieferten Kriegsgeräte nicht identisch waren. Ein »direkter Draht des BND« über das Bundeswirtschaftsministerium zum Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft, so der Anwalt weiter, habe bewirkt, daß die von Merex beantragten Ausfuhrgenehmigungen, auf die normalerweise bis zu sechs Monaten habe gewartet werden müssen, »immer überraschend schnell« erteilt worden seien. »manchmal binnen ca. zehn Tagen«.

Vermutlich wären die Geschäftsbeziehungen des Gerhard Georg Mertins nie gerichtskundig geworden, hätte sich der Waffenhändler mit seinem Gewinn zufriedengegeben. Aber er wollte für seine Exporte auch noch Steuerrückvergütungen in Höhe von insgesamt 4,1 Millionen Mark kassieren und erhielt tatsächlich 1,3 Millionen Mark ausgezahlt. Dabei kamen ihm die Steuerfahnder auf die Spur. Sie fanden heraus, daß Mertins wegen falscher Angaben über die Empfängerländer seiner Exporte keinen Anspruch auf Vergütung hatte.

Die Siebte Strafkammer des Bonner Landgerichts lehnte es jedoch zunächst ab, gegen Mertins wegen Verdachts des Vergehens gegen das Außenwirtschaftsgesetz und der Steuerverkürzung in erheblichem Umfang ein Verfahren zu eröffnen. Erst auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft revidierte das Kölner Oberlandesgericht diesen Beschluß. Es räumte ein, möglicherweise sei Mertins durch den BND zur Verschwiegenheit verpflichtet worden und habe aus Granden der Staatsräson falsche Angaben gemacht. Dennoch bestehe hinreichender Verdacht, Mertins und seine Gehilfen hätten gewußt, daß ihnen bei richtigen Angaben keine Ansprüche auf Umsatz- und Ausgleichssteuerrückvergütungen zustanden.

Doch nicht nur Mertins und der BND stehen unter Verdacht. Prominente Bonner Sozialliberale, die der Opposition den publikumswirksamen Fall Guillaume neiden, freuen sich schon auf einen Zeugen der Staatsanwaltschaft, der aus Gesprächen mit Angehörigen des BND erfahren haben will, daß zu CDU-Kanzler Ludwig Erhards Zeiten über den wahren Hintergrund der Mertins-Geschäfte auch dem Bundeskanzleramt schriftlich und mündlich vorgetragen worden sei. Leiter des Kanzleramtes war damals der Erhard-Intimus Staatssekretär Ludger Westrick.

Bei dieser Zeugenvernehmung wird dann vielleicht auch ans Licht kommen, was nicht Gegenstand des Verschlußsache-Verfahrens gegen Mertins ist: Was nämlich den BND bewogen haben könnte, im Nahen wie ferneren Osten mit Waffengeschäften ein bißchen Weltmacht zu spielen.

Zur Ausgabe
Artikel 19 / 68