"Er ist ein sehr guter Spieler - zwar noch sehr jung, aber er bringt gute Leistungen und trainiert hart. Ich sehe keinen Grund, warum Marvin nicht schon bald in die deutsche Nationalmannschaft berufen werden könnte." Diese Worte kommen von keinem Geringerem als Gerald Asamoah, einem der Schlüsselspieler der "Mannschaft" beim Sieg Deutschlands gegen Kamerun am 17. November, und sie dürften dem Selbstbewusstsein des jungen Marvin Job-Matip einen gewaltigen Schub gegeben haben. Schließlich ist Asamoah als erster deutscher Nationalspieler afrikanischer Herkunft genau der Richtige, wenn es darum geht, die Fortschritte des aus Kamerun stammenden Verteidigers vom VfL Bochum einzuschätzen, der mit knapp 19 Jahren bereits in der deutschen U-21-Nationalmannschaft spielt und dort viel versprechende Leistungen abliefert.

Und auch der Lebensweg von Marvin Matip - Sohn eines Kameruners und einer Deutschen - ist bisher alles andere als normal verlaufen: Da sowohl sein Vater als auch sein Großvater seit vielen Jahren in der typischen Ruhrgebietsstadt Bochum leben und arbeiten, war es nur natürlich, dass Marvin zum VfL Bochum in die Fussballschule ging - einem Verein, dem er inzwischen seit 1994 angehört. Als technisch beschlagener Spieler und als Persönlichkeit auf dem Platz erhielt Marvin eines Tages eine Einladung ins deutsche U-19-Team, mit dem er in der Qualifikationsrunde zur U-19-Europameisterschaft gegen England antrat.  Obwohl die Mannschaft bei der UEFA U-19 EURO in der Schweiz die Gruppenspiele nicht überstand, gelang es Marvin und seinen Teamkameraden, Deutschland einen Platz bei der FIFA Junioren-Weltmeisterschaft Niederlande 2005 zu sichern.

Marvins große Fähigkeiten waren so offensichtlich, dass eine Berufung in die Junioren-Nationalmannschaft nicht lange auf sich warten ließ, und am 8. Oktober gelang ihm im Qualifikationsspiel für die UEFA U-21-Europameisterschaft gegen Aserbaidschan sogar ein Länderspieltreffer. Trotz seines rasanten Aufstiegs ist der junge Mann mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben: "Ich habe keine besonderen Vorbilder als Fussballer; ich spiele einfach mein eigenes Spiel. Außerdem versuche ich eher mit dem Kopf zu spielen, als mich nur auf meine Kraft zu verlassen." 

Im Verein hat Marvin es aufgrund starker Konkurrenz bisher nur zu 45 Minuten Spielzeit in der ersten Mannschaft gebracht. Den Rest seiner Zeit nehmen Training, die Spiele der Reservemannschaft und die Schule in Anspruch, wo Marvin sich zur Zeit auf sein Abitur vorbereitet - im Augenblick benötigt er sogar noch Entschuldigungsbriefe vom Deutschen Fussballbund, wenn er sich von der Schule für die Trainingslager und Spiele der Nationalmannschaften freistellen lassen will.

Aus diesem Grund musste er nach dem U-21-Match gegen Polen, bei dem die deutschen Junioren im November in Cottbus ein 1:1-Unentschieden erreichten, auch sofort nach Bochum zurück, weil dort am nächsten Tag eine Klausur auf ihn wartete. Das bedeutete auch, dass er leider nicht nach Leipzig mitreisen konnte, um beim Aufeinandertreffen seiner beiden Herkunftsländer dabei zu sein. Wie sich herausstellte, bekam Vaters Kamerun von Mutters Deutschland ebenfalls eine Lehrstunde - das Spiel endete 3:0.

Und auch schon zuvor wurde Marvins Loyalität auf eine harte Probe gestellt: Schließlich sind die "Unbezähmbaren Löwen" bereits häufiger gegen die "Mannschaft" angetreten, unter anderem in den Gruppenspielen des FIFA-Weltpokals Korea/Japan 2002™. "Ich war zwar nicht wirklich gegen Kamerun, aber ich habe mich gefreut, als Deutschland gewann", erinnert er sich.

Eine schwere Entscheidung
Demnächst steht für den jungen Verteidiger eine wesentlich schwerere Entscheidung an: Marvin wird seinen eigenen Weg als Nationalspieler eines bestimmten Staates gehen müssen. Und während sein Cousin Joseph-Désiré Job, Spieler beim FC Middlesbrough, sich für Kamerun (und damit gegen Frankreich) entschieden hat, zeigt der junge Bochumer sich immer noch unentschlossen zwischen den beiden Nationen, die um seine Loyalität wetteifern: "Wenn ich eine Einladung zur Nationalmannschaft von Kamerun erhielte, würde ich als erstes meine Eltern um Rat fragen. Und wenn sie mir beide zuraten, würde ich die Einladung annehmen. Aber ich müsste sicher sein, dass ich dort wirkliche Zukunftsperspektiven habe", gibt er zu. Allerdings könnte so ein Anruf bald kommen - schließlich steht die Kameruner Nationalelf im Augenblick vor einem Umbruch, so dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass eine neue Spielergeneration in Kürze eine Chance bekommt.
 


Marvin kennt das aktuelle Kameruner Team gut: Zu seinen Lieblingsspielern gehören neben Samuel Eto'o und natürlich Job auch Patrick Mboma, Eric Djemba-Djemba, Bill Tchato … und nicht zuletzt Raymond Kalla -  ein kraftvoller Verteidiger mit einer Figur wie ein Gewichtheber und Marvins Teamkamerad beim VfL Bochum. "Marvin ist ein hervorragender Spieler, der eine große Zukunft vor sich hat. Er ist der typische moderne Verteidiger, technisch stark und nötigenfalls auch im Mittelfeld einsetzbar", so Kalla, der sich sogar bei der Nationalelf für seinen jungen Kollegen stark macht: "Wenn Kamerun ihn einladen würde, wäre das wirklich eine kluge Entscheidung."

Obwohl Marvin sich auch für das Tennisspiel und das Angeln begeistert, gilt seine ganze Liebe dem Fussball. Sein Vater Jean ist ein eingefleischter Fan der "Unbezähmbaren Löwen" und besitzt eine eindrucksvolle Sammlung ihrer Spiele auf Video, die bis zum FIFA-Weltpokal Spanien 1982 zurückreicht. Dennoch ist es ihm wichtig, dass Marvin seine eigene Entscheidung trifft: "Er sollte sich vor seinem einundzwanzigsten Geburtstag entschieden haben. Aber er ist jetzt erwachsen, und ich werde mich hüten, ihm diese Entscheidung abzunehmen", erklärt Jean, der seit seiner Ankunft in Deutschland vor 30 Jahren zum festen Bestandteil der lokalen Fussballszene in Bochum geworden ist.

Letztendlich weiß nur Marvin, wie diese schwierige Entscheidung ausfallen wird. Zurzeit kann er aufgrund eines Vertragsstreits nicht für die Bundesligamannschaft des VfL Bochum spielen, und mit etwas Pech muss er sich in Kürze einen neuen Klub suchen - obwohl er sehr stolz darauf ist, der einzige Nachwuchsspieler im Kader zu sein, der wirklich aus den Reihen des VfL stammt. Doch nun, da die UEFA EURO 2006-Qualifikationsspiele für die deutsche Junioren-Nationalmannschaft immer näher rücken, stellt sich eine viel drängendere Frage: Wird Marvin Job-Matip dann immer noch deutscher Nationalspieler sein?