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Überlastete Netze Warum Deutschland Strom aus Österreich braucht

Stürme fegen über Deutschland hinweg, Windparks produzieren massenhaft Strom - dennoch musste Österreich zeitweise mit Elektrizität aushelfen. Laut dem Netzbetreiber Tennet wird es noch öfter zu solch absurden Situationen kommen.
Windräder im Schwarzwald: Extreme Belastung für das Stromnetz

Windräder im Schwarzwald: Extreme Belastung für das Stromnetz

Foto: Rolf Haid/ dpa

Hamburg - Es ist eine groteske Situation - und sie verdeutlicht, wie groß die Versäumnisse beim Ausbau der deutschen Stromnetze sind: Am 8. und am 9. Dezember musste Deutschland viel Strom aus Österreich importieren, obwohl im eigenen Land mehr als genug davon vorhanden war.

Das Wiener "Wirtschaftsblatt" berichtete über eine "Austro-Stromhilfe für Deutschland" , in deren Rahmen ein altes Ölkraftwerk wieder angeworfen werden musste und Strom aus zwei Erdgaskraftwerken des österreichischen Versorgers EVN nach Deutschland floss. Diesen Donnerstag wurde das Phänomen von Zeitungen in der Bundesrepublik aufgegriffen.

Der Stromimport wirkt auf den ersten Blick verwunderlich. Denn eigentlich sind in Deutschland auch im Winter, wenn der Stromverbrauch besonders hoch ist, weit mehr Kraftwerke am Netz als nötig. Eigentlich können diese Kraftwerke zu jeder Minute weit mehr Strom produzieren, als die Bundesbürger verbrauchen.

Und obendrein wurde am 8. und 9. Dezember auch noch ausgesprochen viel Strom aus erneuerbaren Energien produziert. Denn an diesen Tagen fegte das Sturmtief "Ekkehard" über die Republik hinweg, und Deutschlands Windanlagen arbeiteten am Anschlag. Viele Stunden lang brachten die Rotoren mehr als 20.000 Megawatt Leistung; so ist es auf einer Web-Seite der Strombörse EEX dokumentiert .

Wenn Deutschland also Strom im Überfluss hat - warum dann noch welchen aus Österreich importieren?

Extreme Belastung

Das Problem sind überlastete Leitungen. Vor allem im Süden Deutschlands haben sich viele stromintensive Industrien angesiedelt; die Windräder aber stehen größtenteils im Norden. Anfang Dezember gab es also ein Stromüberangebot an der Küste, im Süden gab es zu wenig Strom.

Denn im Zuge der deutschen Energiewende wurden bereits acht von 17 Atomkraftwerke abgeschaltet, allein fünf davon befinden sich in Süddeutschland. Anfang Dezember war dann auch noch der Block C des bayerischen Atomkraftwerks Gundremmingen abgeschaltet, weil er überraschend gewartet werden musste. Dadurch gab es plötzlich im Süden zeitweise viel weniger Strom als nachgefragt wurde - und im Norden zu viel.

Das Problem betraf vor allem Tennet. Das Netz des Betreibers reicht von Norddeutschland bis nach Bayern. Es deckt rund 40 Prozent der Fläche der Bundesrepublik ab. Bis zu einem gewissen Grad konnte der Netzbetreiber das Problem Anfang Dezember lösen, indem er Elektrizität von Norden nach Süden schickte. Doch dann stieß Tennet an seine Grenzen. Denn die Nord-Süd-Leitungen sind an windreichen Tagen ohnehin stark ausgelastet.

"Am 8. und 9. Dezember exportierte Deutschland gleichzeitig Windstrom nach Italien und Österreich und versuchte, mit weiterem Windstrom die Versorgung in Süddeutschland zu decken", sagt Peter Hoffmann von Tennet. "Doch das klappte nicht, denn für solch eine Doppelbelastung sind Deutschlands Leitungen nicht ausgelegt."

Die Stromlieferungen nach Südeuropa wollte Tennet zu diesem Zeitpunkt nicht stoppen - aus Kostengründen. "Wenn ein Netzbetreiber erst verspricht, Strom in Länder wie Italien zu liefern und dieses Versprechen dann wegen überlasteter Netze nicht einhalten kann, wird das schnell teuer", sagt Hoffmann. "Pro Tag fallen dann leicht Kosten in Millionenhöhe an." Diese würden letztlich auf die Stromkunden in Deutschland abgewälzt.

Negative Strompreise

Also kam es am 8. und 9. Dezember zu der grotesken Situation, dass norddeutscher Windstrom ins südeuropäische Ausland exportiert wurde - und Deutschland gleichzeitig Strom aus österreichischen Gas- und Ölkraftwerken importieren musste.

Verhindern ließe sich solch ein Hickhack künftig nur, wenn schnell neue Stromleitungen von Norden nach Süden verlegt würden - doch deren Ausbau zieht sich wegen bürokratischer Hürden und Bürgerprotesten seit Jahren hin. Die halbstaatliche Deutsche Energieagentur (dena) hat mehrfach darauf hingewiesen, dass der Netzausbau den Anforderungen an eine zukunftsfähige Versorgung massiv hinterherhinkt. Jetzt, nachdem der Atomausstieg beschlossen ist, rächen sich die Versäumnisse der vergangenen Jahre bitter. Die Bundesregierung will nun rasch gegensteuern: Mit mehreren Gesetzen will sie den Netzausbau forcieren.

Bis das geschehen ist, wird es wohl noch öfter zu Situationen kommen wie am 8. und 9. Dezember. Und noch zu anderen - teuren - Problemen: Derzeit ist das Stromüberangebot in Deutschland oft so groß, dass die Preise an der Strombörse ins Minus drehen. Sprich: Abnehmer im Ausland bekommen noch Geld dafür, dass sie den Deutschen ihre Windenergie abnehmen.

Zuletzt war dies in der Nacht zum Donnerstag der Fall: Zwischen vier und fünf Uhr morgens etwa erhielten Kunden 75 Euro für jede Megawattstunde Strom, die sie den Deutschen abkauften.