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ZEITGESCHICHTE Hitlers Nachlass

Der Freistaat Bayern prozessierte 1948 gegen Adolf Hitler, um an dessen Erbe zu kommen. Bis heute beansprucht das Land fast alles, was einst dem »Führer« gehörte.
aus DER SPIEGEL 52/2001

Der Stuhl des Beklagten vor der Spruchkammer München I blieb leer: Der Mann hatte sich bereits gerichtet, am 30. April 1945 mit einer Walther-Pistole Kaliber 7,65 Millimeter.

Für die bayerischen Richter war der Fall ohnehin klar, das Urteil »Hauptschuldiger«, befanden sie am 15. Oktober 1948, bedürfe »keiner Begründung«. Der gesamte Nachlass in Bayern und damit fast alles, was dem Mann gehörte, wurde als Sühnemaßnahme eingezogen. Sein Name: »Adolf Hitler, ehemaliger Reichskanzler«.

Das Verfahren gegen den toten Massenmörder hatten die bayerischen Behörden auf Anweisung des Staatsministers für Sonderaufgaben, Ludwig Hagenauer, eingeleitet. Das »Befreiungsgesetz« der Amerikaner sah ausdrücklich vor, auch das Vermögen verstorbener Top-Nazis einzuziehen. Allerdings war dafür ein rechtskräftiges Urteil nötig. Die Entscheidung der Münchner Spruchkammer verschaffte dem Freistaat Bayern den wohl bizarrsten Rechtstitel seiner Geschichte.

Seit nunmehr 53 Jahren erhebt das Bayerische Finanzministerium auf fast alles Anspruch, was einst dem Führer gehörte. Der Freistaat prozessiert um persönliche Papiere Hitlers und lässt Versteigerungen seiner Habe stoppen. Er recherchiert Nachdrucken von »Mein Kampf« in Italien oder der Mongolei hinterher, um das an Bayern gefallene Urheberrecht durchzusetzen. Regelmäßig fahnden bayerische Beamte mit Suchbegriffen im Internet weltweit nach Hinweisen auf Eigentum des Führers, das dem Freistaat zusteht.

Hitler hatte stets den Eindruck vermittelt, er diene selbstlos Partei, Volk und Vaterland. Insgeheim verfügte der »Führer« allerdings über Millionen. Er hatte früh reiche Gönner wie den Industriellen Fritz Thyssen gefunden, die ihm auf dem Weg zur Macht Hunderttausende Reichsmark zukommen ließen. Als Reichskanzler ließ sich Hitler von der Steuer freistellen, so konnte er seine Tantiemen aus »Mein Kampf« (Gesamtauflage rund zehn Millionen Exemplare) netto einstecken. Der letzte erhaltene Beleg aus dem NSDAP-Verlag Franz Eher Nachfolger GmbH weist Ende 1943 für Hitler ein Guthaben von 5,5 Millionen Reichsmark aus.

Viel blieb dem Freistaat Bayern vom Wohlstand des Diktators 1948 nicht. Britische Bomber hatten im April 1945 seinen Berghof am Obersalzberg zerstört. Seine Bildersammlung beschlagnahmten die Amerikaner, überführten das meiste an die Alteigentümer und übergaben den Rest später dem Bund. Die Bibliothek verschleppten GIs in die USA; heute steht ein

Drittel der Bände in der Washingtoner Kongressbibliothek.

Ein Nachlass-Konto bei der Kreissparkasse Berchtesgaden verzeichnete nach der Währungsreform noch 91 698,77 Mark. Darüber hinausgehendes Vermögen Hitlers, notierte das Bayerische Landesamt für Vermögensverwaltung am 16. November 1949, sei »nicht bekannt«. Die aktuellen Unterlagen über das Millionenguthaben beim Eher-Verlag - Grundlage für einen Anspruch Bayerns - waren vernichtet. Nur Hitlers Haus am Prinzregentenplatz 16 konnte der Freistaat Bayern nutzen. Heute residiert dort die Polizei.

Doch abgeschlossen war der Fall Hitler keineswegs. Noch Jahre nach Kriegsende wurden Testamente zu Gunsten Hitlers eröffnet, wie 1954 der letzte Wille des allein stehenden Fritz L., der zehn Jahre zuvor verfügt hatte, Hitler in der Siebeckstraße in Bochum ein Grundstück als Bauplatz für ein Jugendheim zu vermachen. Begründung: Hitler bringe »Deutschland so artig zusammen«. Das Grundstück fiel an Nordrhein-Westfalen.

Immer neue Stücke aus der Habe des Diktators tauchten in den Nachkriegsjahren auf. Seine Entourage und die Leibwache, aber auch amerikanische Soldaten hatten aus Hitlers Wohnung am Prinzregentenplatz manches mitgehen lassen. Bei der Arbeitslosen Gertrude M. entdeckten die Finanzbeamten eine Nussbaumvitrine Hitlers; die Frau hatte sie angeblich von einem GI geschenkt bekommen. Für 400 Mark durfte sie das Möbelstück behalten.

Gerade Bayern, in dessen Hauptstadt München Hitlers Karriere begonnen hatte, wollte nach Einschätzung des Münchner Historikers Thomas Schlemmer »Reliquienhandel« unter Ewiggestrigen verhindern. Bundeskanzler Konrad Adenauer trieb in den fünfziger Jahren die Westintegration der jungen Republik voran; ein schwunghaftes Geschäft mit Hitler-Devotionalien hätte gestört.

1953 klagte der Freistaat »namens des Nachlasses von Adolf Hitler« in Basel gegen Ernst Peter Lüdi. Der Kaufmann hatte einen Perserteppich, sechs mal vier Meter, zum Kauf angeboten. Hitlers Schwiegervater Friedrich Wilhelm Braun attestierte, der Teppich habe einst Hitler gehört, und bekam dafür von Lüdi 12 000 Dollar. Als der Kaufmann die Pretiose in die Schweiz schmuggeln wollte, um sie von dort abzusetzen, beschlagnahmte der Zoll den Teppich. Doch Bayerns Klage blieb erfolglos: Hitlers Haushälterin in München, der frühere Hausinspektor des »Führerbaus« und der Leiter der Innenausstattung konnten sich nicht daran erinnern, den Teppich jemals im »Führerzimmer« gesehen zu haben. Kaufmann Lüdi durfte ihn behalten.

Noch vor wenigen Jahren stoppte Bayern die Zwangsversteigerung eines Klaviers in Hamburg. Eine Gemeinde im Sudetenland hatte Hitler das Piano zum 50. Geburtstag 1939 geschenkt. 1989 stahlen Diebe das Instrument aus einem Lagerhaus im Hamburger Hafen und boten es dem ehemaligen »Stern«-Reporter Gerd Heidemann an. Heidemann, der den »Stern« 1983 in den Skandal um die angeblichen Hitler-Tagebücher getrieben hatte, informierte die Polizei.

Die Papiere Hitlers, etwa sein Soldbuch aus dem Ersten Weltkrieg, sein Waffenschein und sein österreichischer Reisepass, liegen heute in einem grauen, etwa 40 Zentimeter langen Pappkarton, der in einem Tresor im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München aufbewahrt wird.

Die Unterlagen waren der Generalstaatsanwaltschaft München 1950 bei einer Razzia in die Hände gefallen, die sie bei Hitlers Haushälterin Anny Winter durchgeführt hatte. Die Behörden hatten den Tipp bekommen, dass Winter einen Koffer mit signierten Hitler-Fotos, Erstausgaben von »Mein Kampf« und Aquarellen ihres verstorbenen Arbeitgebers absetzen wollte.

Vor Gericht berief sich die Frau auf das Testament Hitlers. Dieser hatte, kurz bevor er sich erschoss, darin seinem Vertrauten und Leiter der Parteikanzlei, Martin Bormann, ausdrücklich erlaubt, »alles das, was persönlichen Erinnerungswert besitzt«, Verwandten, Sekretärinnen und auch Anny Winter zu übergeben. Das Gericht fand das rechtens: Bis auf Hitlers Papiere bekam die Ex-Haushälterin Koffer und Inhalt zurück.

Die meiste Arbeit bereitet heute den beiden Beamten, die im Finanzministerium für das braune Erbe zuständig sind, das Urheberrecht an »Mein Kampf«. Im Durchschnitt alle sechs Wochen melden Diplomaten oder Journalisten, Weltreisende oder Urlauber den Leuten vom Referat »Rechtssetzung und Rechtsbereinigung«, dass sie in Prag, Bologna oder Stockholm nachgedruckte Exemplare in irgendeinem Buchladen gesehen hätten. In Deutschland sind die Urheberrechte noch 70 Jahre nach dem Tod des Autors geschützt. Die meisten europäischen Länder akzeptieren inzwischen, dass der Freistaat

bis 2015 Verlage zwingen kann, Unterlassungserklärungen zu unterschreiben und Auflagen einzustampfen.

Gelegentlich greift sogar Ministerpräsident Edmund Stoiber ein. Als vergangenes Jahr in Tschechien ein obskurer Verlag einige tausend Exemplare herausbrachte, bat Stoiber den tschechischen Präsidenten Václav Havel, sich dafür einzusetzen, »dass in der Tschechischen Republik alle Möglichkeiten zur Verhinderung weiterer Veröffentlichungen ausgeschöpft werden«. Das Buch verbreite schließlich »Rassismus, Hass und historischen Unsinn«. Verleger Michal Zitko wurde in Prag zu drei Jahren Haft auf Bewährung und etwa 118 000 Mark Geldstrafe verurteilt.

Wenn Künstler wie der deutsch-türkische Schauspieler Serdar Somuncu aus der Nazi-Bibel lesen, versteckt sich ein Leitender Ministerialrat Bayerns schon mal im Publikum. Mit Somuncu, der sich in seinen Lesungen über Hitler lustig macht, war der Beamte gnädig. Dem PDS-nahen Eulenspiegel-Verlag hingegen untersagte der Freistaat Bayern den Verkauf einer CD, auf der Bert Brechts Schwiegersohn Ekkehard Schall dümmliche Passagen aus dem Hetzwerk liest ("Es liegen die Eier des Kolumbus zu Hunderttausenden herum, nur die Kolumbusse sind eben seltener zu treffen").

In den USA und Großbritannien sind die Bayern allerdings machtlos; der Eher-Verlag hat die Rechte in den dreißiger Jahren an dortige Verlage verkauft. Random House, seit einigen Jahren Tochter von Bertelsmann, setzt im Schnitt 3000 Exemplare jährlich auf den britischen Inseln ab. Der Erlös wird gespendet.

Unangefochten ist der Anspruch des Freistaats Bayern auch hier zu Lande nicht. Hitlers Schwester Paula forderte mehrfach vergebens das Erbe ein. 1960 stellte das Amtsgericht München immerhin einen Erbschein aus und sprach Paula das Recht auf zwei Drittel zu, Halbbruder Alois und Halbschwester Angela auf je ein Sechstel. Erhalten haben die Erben allerdings vom eingezogenen Nachlass nie etwas.

Nur einmal zahlte sich die Verwandtschaft mit dem Massenmörder finanziell aus. Das Münchner Institut für Zeitgeschichte wollte 1961 das so genannte Zweite Buch Hitlers über seine außenpolitischen Pläne herausbringen; der NSDAP-Chef hatte auf eine Veröffentlichung verzichtet. Die Wissenschaftler wollten vor der Publikation sichergehen. Diskret sondierten sie bei den Erben und zahlten 2250 Mark - das Buch erschien noch im gleichen Jahr. KLAUS WIEGREFE

* Links: Ausgabe von 1935; rechts: mit Fotograf HeinrichHoffmann.* Am Prinzregentenplatz in München.

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