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Analyse zur Wahl in Mecklenburg-Vorpommern Sieg der Protestwähler

Die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern ist richtungsweisend: Die Volksparteien SPD und CDU wurden massiv abgestraft, die AfD hat sich endgültig im Osten etabliert. Sechs Erkenntnisse des Wahlabends.
Der schnelle Überblick

Das ist passiert:Die SPD gewinnt die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, verliert aber deutlich Prozente.Debakel für die CDU: Sie kommt nur auf den dritten Platz.Die AfD triumphiert und kommt vor der Union auf Platz zwei.Die Linkspartei verliert kräftig, es reicht nur für Platz vier.Die Grünen verpassen den Einzug in das Parlament, ebenso wie FDP und NPD.

Die einen sind demonstrativ gefasst: "Wir wollen eine stabile Regierung bilden, die auf sozialen Zusammenhalt setzt", sagt SPD-Vizechefin -Manuela Schwesig am Sonntagabend in der ARD. Ihre Partei hat ersten Prognosen zufolge bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zwischen mehr als 30 Prozent der Stimmen geholt.

Die anderen triumphieren, können sich Häme nicht verkneifen: "Vielleicht ist das der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels", sagt AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm. Die Alternative für Deutschland liegt derzeit in Prognosen bei Werten mit fast 22 Prozent - und ist damit in Mecklenburg-Vorpommern zweitstärkste Kraft, noch vor der CDU mit Werten um rund 19 Prozent.

Wieder andere bangen, ob sie sich aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern verabschieden müssen: Hochrechnungen sehen die Grünen bei knapp fünf Prozent, Briefwähler noch nicht eingerechnet. Ein Wiedereinzug ins Parlament ist damit so gut wie ausgeschlossen.

Die Linke hat mit 12,5 Prozent massiv verloren, die rechtsradikale NPD fliegt aus dem Parlament, die FDP verfehlt zum zweiten Mal in Folge den Wiedereinzug (die Ereignisse des Wahlabends hier im Newsblog).Womöglich gibt es in Schwerin ein Vier-Parteien-Parlament mit einer Großen Koalition als Regierungsbündnis.

Alle Ergebnisse, mit Erst- und Zweitstimmen, Gewinnen und Verlusten, Sitzverteilung im Landtag:

  • Die Wahl im Nordosten kann als Abrechnung mit Angela Merkels Großer Koalition im Bund verstanden werden.
  • Die AfD ist jetzt vor allem im Osten Deutschlands flächendeckend etabliert - und hängt selbst eine Volkspartei wie die CDU ab.
  • Die Wahl im Nordosten macht deutlich, dass kleinere Parteien wie die Grünen und die FDP im Lagerkampf zwischen Gemäßigten, Linken und Rechtspopulisten leicht zerrieben werden können.

Wer sind die Gewinner und Verlierer, was hat das Ergebnis zu bedeuten, wie geht es jetzt weiter? Die ersten Erkenntnisse des Wahlabends - auf einen Blick sortiert und eingeordnet:

1. Die SPD hat noch einmal die Kurve gekriegt.

Wochenland schwächelten die Sozialdemokraten in Umfragen, erst auf den letzten Metern holte die SPD auf. Wahrscheinlich ist das zum großen Teil dem Amtsbonus von Erwin Sellering zu verdanken. Die SPD dürfte zuletzt jenen Teil der 1,3 Millionen Wahlberechtigten eingesammelt haben, der ein Signal für einen gemäßigten Kurs setzen wollte.

Sellering ist seit acht Jahren Ministerpräsident und kann das aller Voraussicht nach bis auf weiteres bleiben. Rein rechnerisch kann er seine große Koalition wohl fortführen, allerdings mit einer stark geschwächten CDU. Dazu kommt künftig eine AfD-Opposition, die im Schweriner Landtag jede Gelegenheit nutzen wird, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Für den Moment aber wirkt Sellering gelöst. "Das war der schwerste, aber auch der schönste Wahlkampf", sagt der SPD-Mann am Abend. Ein Ergebnis von um die 30 Prozent war mehr, als viele seiner Anhänger zuletzt erwartet hatten. Es ist gerade noch einmal gut gegangen.

Fotostrecke

Wahlabend in Mecklenburg-Vorpommern: Jubel, Triumph, Enttäuschung

Foto: Bernd Wüstneck/ dpa

2. Für die CDU ist diese Wahl ein Desaster.

Die CDU in Mecklenburg-Vorpommern ist der Landesverband von Angela Merkel. Das schlechte Ergebnis kann als direkte Reaktion auf ihre Flüchtlingspolitik verstanden werden - auch wenn mit rund 25.000 Personen kaum Flüchtlinge im Nordosten leben.

Die Kanzlerin setzte dieses Mal auf gezielte Bürgerbesuche statt auf eine klassische Marktplatz-Tournee. Es nutzte nichts, diese Wahl ist für die CDU ein Debakel. Auch wenn das Bundesland nur wenige Wähler hat und bei bundesweiten Entscheidungen keine große Rolle spielt: Hinter der AfD zu landen ist ein Worst-Case-Szenario. Zumindest im Nordosten scheint die CDU gerade ein ähnliches Schicksal zu ereilen wie zuletzt die SPD in Sachsen und Thüringen.

Die CDU wird sich in strukturschwachen Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern neu erfinden müssen, um mittelfristig nicht komplett abzusacken. Personell ändert sich wohl erst einmal nichts: Spitzenkandidat Lorenz Caffier hat weiter Rückhalt, sagten mehrere Landespolitiker der Union am Abend.

3. AfD-Anhängern sind Führungsstreitereien egal.

Keine Partei ist gerade so chaotisch wie die AfD. Doch das scheint für alte und neue Anhänger keine Rolle zu spielen, aus dem Stand haben die Rechtspopulisten im Nordosten CDU, Linke und Grüne abgehängt. Koalieren will mit der AfD niemand, aber um Verantwortung geht es der Partei momentan gar nicht, sie will aufmischen und abstrafen.

Die AfD hat ein Jahr nach der Öffnung der Grenzen 2015 vor allem vom Unmut der Bürger über die Flüchtlingspolitik profitiert - an den hohen Sympathiewerten sieht man, dass sich der Protest gegen den Flüchtlingskurs noch immer hält. Und dass er womöglich auch noch ins Bundestagswahljahr 2017 getragen werden kann. Je mehr Landtagswahlen die AfD bis dahin gewinnt, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie auch im Bund zweistellige Ergebnisse bekommt.

4. Die Große Koalition im Bund sollte abgestraft werden.

Bereits bei den Wahlen im März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt hatte die Union - ebenso wie die SPD - teils herbe Verluste erlitten. Jetzt der dritte Platz im Nordosten hinter der AfD: für Merkel wird es immer schwieriger, ihren Kurs parteiintern zu rechtfertigen. Sollte auch die Wahl in Berlin in zwei Wochen zum Fiasko werden - gegenwärtig sind die Christdemokraten noch zweifacher Juniorpartner der SPD -, dann wird die Unruhe in der Union wachsen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel geht vorerst gestärkt aus der Schwerin-Wahl. Auch wenn die SPD leicht verloren hat, ist sie dennoch stärkste Kraft. Aufatmen kann er trotzdem nicht: Auf die Berlin-Wahl am 18. September folgt ein Parteikonvent zum Schwester-Handelsabkommen Ceta mit Kanada. Gabriel muss befürchten, dass ihm als Wirtschaftsminister und Vizekanzler dann der Wahl-Frust der Genossen um die Ohren fliegt.

5. Die Linke ist keine Ost-Volkspartei mehr.

12,5 Prozent für die Linke - das ist für die Partei sehr bitter. Über Jahre waren die Linken vor allem in Mecklenburg-Vorpommern stark, sowieso waren sie im Osten lange Volkspartei. In Schwerin saßen sie mal in der Regierung, waren sowohl dort als auch in der Opposition pragmatisch. Jetzt sind die Linken ihren Anhängern wohl nicht mehr "dagegen" genug. Sie ist auf dem Weg, ihren Ruf als Protest- und Volkspartei, die Menschen aber trotzdem im politischen System hält, zu verlieren. Ändert sie das nicht, ist die Zukunft der Linken ungewisse: Der Triumph in Thüringen, wo Bodo Ramelow erster linker Ministerpräsident wurde, ist auch schon wieder zwei Jahre her. Seitdem gab es eine Enttäuschung in Sachsen-Anhalt und West-Schlappen. Jetzt gibt es die nächste Niederlage.

6. Die kleinen Parteien müssen kämpfen wie nie.

Für die FDP war Mecklenburg-Vorpommern mit seinen wenigen Unternehmen schon immer ein schweres Pflaster. Die Grünen sind erst seit der Wahl 2011 im Parlament, wahrscheinlich bleibt es vorerst bei dieser einen Legislaturperiode. Man sieht, dass die Kleinen im Spannungsfeld zwischen gemäßigten Parteien und Protestparteien nur mit viel Anstrengung überleben - gerade im Osten, wo es viele Wechselwähler und weniger treue Anhänger einer bestimmten Partei gibt.

Video: Debakel für die CDU - die Analyse zur Wahl von SPIEGEL-ONLINE-Politikredakteur Christian Teevs

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