Überragender Sieg beim Internationalen Avus-Rennen 1932

13.09.2019
Stuttgart

Der Mercedes-Benz SSKL, die Basis des Siegerfahrzeugs im Avus-Rennen 1932, ist ein echter Seriensieger. Das zeigt ein Blick auf Motorsportfahrzeuge und Rennergebnisse der späten 1920er-Jahre. 1927 entsteht bei der Daimler-Benz AG der neue Hochleistungssportwagen Typ S. Dessen Grundlagen bilden die 1924 vom damaligen Chefkonstrukteur Ferdinand Porsche bei der DMG herausgebrachte Luxuslimousine Mercedes 24/100/140 PS sowie das 1926 davon abgeleitete Modell K.

Der Mercedes-Benz Typ S richtet sich an vermögende Privatfahrer und aufgrund seines überragenden Potenzials auch an Rennteams. Seine Konstruktion folgt dem Prinzip, einen hubraumstarken Kompressormotor in ein robustes Chassis zu setzen. Diesen Weg gehen auch andere Marken. Entsprechend eindrucksvoll sind die Außenmaße der Fahrzeuge. Aus dem Typ S (das Kürzel steht für „Sport“) entstehen 1928 die Hochleistungssportwagen SS („Super-Sport“) und SSK („Super-Sport-Kurz“), der SSK mit einem um 450 Millimeter auf 2.950 Millimeter verringerten Radstand. Wie zuvor der Typ S dominiert auch der SSK das internationale Renngeschehen.

Doch die Konkurrenz, vor allem aus England, Frankreich und Italien, ist stark. Marken wie etwa Alfa Romeo, Bugatti und Maserati bringen Rennwagen nach neuartigen Konzepten an den Start. Sie sind erheblich kompakter und leichter als der SSK, kommen dementsprechend mit weniger Motorleistung aus und sind wendiger. Zudem schonen die neuen Konstruktionen die Reifen. Das ist ein bedeutender Vorteil angesichts immer höherer Geschwindigkeiten. Dennoch schlägt sich der SSK weiterhin bestens und holt zahlreiche namhafte Siege.

Evolutionsmodell: Mercedes-Benz SSKL

Für die Saison 1931 verbessert Mercedes-Benz das Fahrzeug durch Erleichterungsmaßnahmen sowie eine auf 220 kW (300 PS) erhöhte Motorleistung – der SSKL ist geboren. Wobei der Typ zunächst offiziell nicht so heißt, sondern weiterhin einfach SSK oder „SSK Modell 1931“. Die Bezeichnung „SSKL“ setzt sich erst allmählich durch. Der zusätzliche Buchstabe „L“ steht für „Leicht“, das Fahrzeug wiegt 125 Kilogramm weniger als der SSK.

Die Evolutionsstufe SSKL geht zurück auf den Entwicklungsvorstand Dr. Hans Nibel sowie die Konstrukteure Max Wagner und Fritz Nallinger. Im Verkaufsprogramm taucht sie nicht auf, denn die neuen Maßnahmen sind Werksmodifikationen, die nach exakter Spezifikation ausschließlich in Untertürkheim und lediglich an vier Fahrzeugen realisiert werden. Zwei davon sind auf das Unternehmen zugelassen und werden von den Werksfahrern Rudolf Caracciola und Hans Stuck eingesetzt. Der dritte geht an Fürst zu Hohenlohe-Bartenstein. Den vierten erhält Baron Hans von Zimmermann – der Gönner und Cousin Manfred von Brauchitschs, der diesem auch schon die vorherigen Fahrzeuge zur Verfügung gestellt hatte.

Der SSKL setzt die Siegesserie seiner Vorgänger fort. Zu den Triumphen der Saison 1931 gehört im April 1931 Caracciolas Gesamtsieg bei der Mille Miglia – als erster Nichtitaliener. Am 7. Juni 1931 gewinnt Caracciola das Eifelrennen auf dem Nürburgring, was die Fachwelt allerdings angesichts der erheblichen Reifenprobleme bei Mercedes-Benz und vor allem der starken Konkurrenz erstaunt. Eine weitere Überraschung findet sich auf Platz 3: der aufstrebende Privatfahrer Manfred von Brauchitsch. Er zeigt auf dem Nürburgring ebenfalls eindrucksvoll sein Fahrertalent sowie das Potenzial des SSKL.

Motorsport in Zeiten der Wirtschaftskrise

Zwei Monate später findet am 2. August 1931 das Internationale Avus-Rennen in Berlin statt, auf einem ausgesprochenen Hochgeschwindigkeitskurs. Von zwölf Fahrzeugen kommen sechs ins Ziel. Caracciola gewinnt das Rennen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 185,7 km/h. Wieder auf Platz 3: Manfred von Brauchitsch. Dass sich auf den übrigen Plätzen ausschließlich Bugattis einfinden, zeigt den mittlerweile schwierigen Stand der SSK und SSKL.

Ohnehin sind die Aussichten nicht rosig, denn es herrscht Weltwirtschaftskrise. Und Mercedes-Benz entscheidet, die Motorsportaktivitäten ruhen zu lassen. Ein schwerer Schlag auch für Caracciola. Er ist kein Werksfahrer der Stuttgarter mehr, muss für 1932 einen neuen Rennstall suchen – und findet ihn auf der anderen Alpenseite bei Alfa Romeo. Sein Start dort gestaltet sich alles andere als leicht. Denn die Stammpiloten weigern sich, ihn als gleichberechtigten Fahrer aufzunehmen, weshalb Caracciolas Alfa Romeo zunächst sogar weiß lackiert wird statt im italienischen Rot. Das ändert sich nach seinen ersten Erfolgen und vor allem dank seiner Fairness gegenüber Tazio Nuvolari beim Großen Preis von Monaco.

Caracciola startet also beim Internationalen Avus-Rennen in Berlin am 22. Mai 1932 auf Alfa Romeo und damit gegen die Fahrzeuge, auf denen er noch 1931 selbst erfolgreich war: Das gibt dem Rennen eine zusätzliche Brisanz, denn er gilt als Favorit. Zwei privat gemeldete SSKL stehen am Start. Sie werden von Hans Stuck und Manfred von Brauchitsch gefahren, denen das Werk in geringem Umfang technische Unterstützung gibt. Von Brauchitschs Fahrzeug bekommt eine Motorüberholung sowie eine Hinterachse mit längerer Übersetzung. Veranlasst hat das der eigentlich pausierende Rennleiter Alfred Neubauer, der ebenfalls vor Ort ist, die Arbeiten überwacht und zudem beiden Fahrern taktische Tipps gibt. So ganz kann Mercedes-Benz also nicht vom Geschehen lassen.

Die weitere Konkurrenz ist stark und groß. Es treten wieder die besten Rennfahrer der Welt auf den besten Rennwagen an. Die Avus-Strecke: Das sind zwei parallele, jeweils 9,5 Kilometer lange Geraden, die über zwei Kurven im Norden und Süden zu einem Rundkurs verbunden sind. Die Geraden ermöglichen Geschwindigkeiten von deutlich mehr als 200 km/h. Die Avus ist damals international die Rennstrecke mit den höchsten Geschwindigkeiten.

Der SSKL mit Stromlinienkarosserie macht Furore

Für erhebliche Aufmerksamkeit sorgt von Brauchitschs SSKL. Denn das Fahrzeug trägt eine unlackierte und somit silberfarbene Stromlinienkarosserie. Sie ist ein zweckmäßiger Entwurf des Maschinenbauingenieurs Reinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld: Weil sie das Fahrzeug 20 km/h schneller macht, ist er davon überzeugt, dass von Brauchitsch echte Siegchancen hat.

Als sich um 16 Uhr die Startflagge zum Hauptrennen senkt, verfolgen rund 250.000 Zuschauer an der Avus und noch mehr an den Radioempfängern mit großer Spannung und Erwartung das Abschneiden des von den Berlinern „Gurke“ getauften Stromlinien-SSKL. 15 Runden und somit 294,4 Kilometer sind zu fahren. Caracciola behauptet schnell seine Favoritenposition, von Brauchitsch ist ihm jedoch schon bald auf den Fersen. Ab der siebten Runde ist klar: Den Sieg machen die beiden unter sich aus. In der achten Runde übernimmt von Brauchitsch die Führung. Nach der neunten Runde sind nur noch fünf Fahrer im Rennen – und Caracciola hat aufgrund der besseren Beschleunigung seines weißen Alfa Romeo die Spitzenposition zurückerobert.

Die Massen auf den Tribünen sind elektrisiert und springen bei jeder Vorbeifahrt von ihren Sitzen auf. Radiosprecher Paul Laven, einer der ersten Rundfunkreporter für Liveübertragungen, bezeichnet den stromlinienförmigen SSKL, der die Geraden entlangfliegt, in seiner Sendung für die Südwestdeutsche Rundfunkdienst AG aus Frankfurt am Main als „silbernen Pfeil“. Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Stets zieht Caracciola im wendigen Alfa Romeo in den Kurven davon, während von Brauchitsch im massigen SSKL auf den Geraden wieder aufholt.

Bis in die letzte Runde gelingt es Caracciola, die Führung zu verteidigen. Doch dann kann ihn von Brauchitsch in der Südkehre überholen und hält den Vorsprung unter Kompressorgeheul bis zur Zielgeraden. Da signalisiert ihm die schwarzweiße Flagge: Er hat das Rennen gewonnen. Nach einer Fahrzeit von einer Stunde, 30 Minuten und 52 Sekunden für die Renndistanz von 294,4 Kilometern stellt er mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 194,4 km/h gleichzeitig einen Geschwindigkeitsrekord über die Distanz von 200 Kilometern auf. Nur 3,6 Sekunden hinter ihm überfährt Caracciola auf Alfa Romeo P 3 mit einem Durchschnitt von 194,3 km/h die Ziellinie. Dahinter folgen auf dem dritten Platz Hans Stuber, mit dem Bugatti T 51 und 186,9 km/h, und auf Platz vier Hans Stuck auf dem normal karossierten SSKL mit 185,6 km/h.

Der Sieg lässt Träume in Erfüllung gehen

Für zwei Personen gehen mit diesem Sieg große Träume in Erfüllung: Dem 26-jährigen Manfred von Brauchitsch gelingt der Durchbruch als Rennfahrer, und er wird zum umjubelten Star. Über Nacht ist sein Name in ganz Europa bekannt und findet sich auf den Titelseiten der Tageszeitungen. Für 1933 erhält er Teile- und Werkstattunterstützung von Daimler-Benz. 1934 folgt sein erster Werksvertrag inklusive Dienstwagen, seine häufigen finanziellen Sorgen enden damit.

Und Reinhard Freiherr von Koenig-Fachsenfeld kann erstmals an einem Rennwagen und damit bei höchsten Geschwindigkeiten die Wirksamkeit seiner Aerodynamiküberlegungen beweisen – ein Meilenstein der Automobilgeschichte. Der Sieg macht den Freiherrn auf einen Schlag einem breiten Publikum bekannt und weckt das Bewusstsein für die Stromlinienform sowie deren Wirkung beim Automobil. Denn die aerodynamischen Fortschritte der Vergangenheit, etwa beim „Blitzen Benz“ und dem Benz Tropfenwagen, fanden nie so die Aufmerksamkeit der Massen wie dieser Erfolg 1932 auf der Avus.

Der Sieg des „silbernen Pfeils“ beim Avus-Rennen löst ein Umdenken bei den Fahrzeugkonstrukteuren aus, denn das Fahrzeug ist ein echter „Game-Changer“. In der Ära vor ihm dominieren herkömmlich karossierte, „klassische“ Rennwagen das Geschehen. Nach ihm beginnt die Ära der Stromlinienrennwagen – und allmählich etabliert sich auch bei Personenwagen und Nutzfahrzeugen das Thema Aerodynamik.

Von Brauchitsch setzt den neuen Stromlinienrennwagen eine Woche nach dem Avus-Rennen am 29. Mai 1932 beim Eifelrennen auf dem Nürburgring erneut ein und belegt als bester Mercedes-Benz Fahrer den vierten Platz vor Hans Stuck auf dem SSKL mit der normalen Karosserie. Doch dieses Mal gewinnt Caracciola das Rennen. Sein Alfa Romeo kann auf dem kurvenreichen Kurs seine Vorteile voll ausspielen.

Ende 1932 verkündet die Motorsportbehörde AIACR (Association Internationale des Automobile Clubs Reconnus) in Paris eine neue Formel für den Grand-Prix-Rennsport, die ab 1934 in Kraft tritt: Die Wagen dürfen ohne Kraftstoff, Öl, Kühlmittel und Reifen maximal 750 Kilogramm schwer sein, ansonsten sind den Konstrukteuren keine Grenzen gesetzt. Mercedes-Benz konstruiert den 750-Kilogramm-Rennwagen W 25, selbstverständlich mit Stromlinienkarosserie, meldet sich zurück ins Geschehen – und schlägt das nächste überaus erfolgreiche Kapitel in der Motorsporthistorie der Marke auf.

Mit der neuen Rennformel findet das Nebeneinander großer und schwerer sowie kleiner und leichter Rennwagen in ein und derselben Kategorie ein Ende. Ein Höchstgewicht mag verwundern mit Blick auf heutige Rennformeln, die ein Mindestgewicht fordern. Mit der 750-Kilogramm-Formel möchte die AIACR die Geschwindigkeiten der Boliden im Vergleich zur vorherigen Rennwagengeneration begrenzen. Sie geht davon aus, dass in einem leichten Fahrzeug nur kleine Motoren mit geringer Leistung montiert werden können. Dabei unterschätzt sie den Fortschritt der Technik: Allein in der Zeit der 750-Kilogramm-Formel von 1934 bis 1937 wird sich die Motorleistung der Mercedes-Benz Rennwagen nahezu verdoppeln.

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