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Fußball DFB verteidigt Technik

„Die Debatte um den Videobeweis ist scheinheilig“

Das ist die neue Schaltzentrale der Video-Schiris

Seit Beginn der Bundesliga-Saison am 18. August wird bei allen Spielen der Videobeweis eingesetzt. Der Video-Assistent - so die offizielle Bezeichnung - sitzt aber nicht mit im Stadion, sondern in einem unscheinbaren Raum in Köln.

Quelle: N24/Sebastian Honekamp

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Der Videobeweis sollte eine gute Hilfe sein. Doch bislang sorgt er für große Debatten. Hellmut Krug ist der verantwortliche Mann hinter der Technik. Er verteidigt sein Projekt – und sagt: Es funktioniert gut.

Es vergeht kein Spieltag, an dem der neu eingeführte Videobeweis in der Bundesliga nicht zu Kontroversen sorgt. Hellmut Krug ist verantwortlich für die neue Technik, der frühere Schiedsrichter schulte die Spielleiter und Videoassistenten.

WELT am SONNTAG: Herr Krug, schlafen Sie schlecht – aus Angst, dass beim nächsten Spieltag wieder über den Videobeweis diskutiert wird?

Hellmut Krug: Nein, das habe ich schon als aktiver Schiedsrichter nicht getan. Wenn du Angst vor Fehlern oder Diskussionen hast, bist du in dieser Branche fehl am Platz.

WELT am SONNTAG: Sind Sie zufrieden mit der Technik?

Krug: Generell ja. Aber rundum zufrieden sind wir erst, wenn wirklich alles reibungslos läuft. Das ist an vielen Stellen bereits der Fall, an einigen aber noch nicht. Wir werden ruhig und besonnen weiter daran arbeiten, ein System zu schaffen, das den Erwartungen gerecht wird. Dafür benötigen wir aber vor allem eins: Zeit. Schließlich befinden wir uns in einer Testphase, die eine Saison dauert und eben nicht nur ein paar Spieltage.

WELT am SONNTAG: Mit Verlaub, aber derzeit müssen wir doch eher das Gefühl haben, dass der Videobeweis schon nach wenigen Spieltagen durchgefallen ist.

Krug: In der Öffentlichkeit wird überwiegend thematisiert, was noch nicht perfekt läuft. Aber wie soll eine solch große Innovation auf Anhieb reibungslos funktionieren? Das ist gar nicht möglich, dafür ist dieses Projekt viel zu komplex. Wer geglaubt hat, wir legen einfach einen Schalter und schon funktioniert alles reibungslos, der ist schief gewickelt. Natürlich erleben wir Situationen, bei denen wir zugeben müssen, dass sie nicht gut gelöst wurden, aber auch das war uns von vornherein bewusst. Aber: Es wird in der Debatte leider komplett unterschlagen, dass wir nach fünf Spieltagen bereits neun Fälle hatten, in denen der Videobeweis die Schiedsrichter vor klaren Fehlentscheidungen bewahrt hat. Rein theoretisch würden wir bis zum Ende der Saison somit weit mehr als 50 unstrittige Fehler korrigieren.

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WELT am SONNTAG: Kein Verständnis für die Kritik?

Krug: Doch, klar, konstruktive Kritik gern. Aber viele stürzen sich nur auf vermeintliche Fehler, ohne zu berücksichtigen, dass auch als Videoassistenten weiterhin Menschen am Werk sind. Zwar müssen die nicht binnen Sekundenbruchteilen entscheiden wie die Schiedsrichter, aber auch sie haben nur eine sehr eingeschränkte Zeitspanne zur Verfügung, in der sie anhand der Fernsehbilder zu einem schnellen Ergebnis kommen, eine Szene interpretieren müssen. Und auch die daraus resultierende Entscheidung deckt sich leider nicht immer mit der Meinung der breiten Öffentlichkeit, auch wenn sie regeltechnisch vertretbar ist.

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WELT am SONNTAG: Nehmen wir das Spiel Köln gegen Frankfurt. Dort wurde ein Elfmeter fälschlicherweise gegeben und zwei nicht – drei Fehlentscheidungen. Wo war da der Videoassistent?

Krug: Er hat nicht eingegriffen, weil es sich seiner Auffassung nach in allen drei Fällen nicht um klare Fehlentscheidungen handelte. Lassen Sie mich bitte eines klarstellen: Der Schiedsrichter ist weiterhin für die Leitung des Spiels verantwortlich. Das wird im Moment oft vergessen – und alles auf den Videoassistenten abgewälzt. Der ist jedoch lediglich ein weiterer Assistent, der sich nur einbringen soll, wenn dem Schiedsrichter seiner Auffassung nach ein klarer Fehler unterlaufen ist. Wie aber definieren wir einen klaren Fehler? Es gibt Grauzonen, in denen selbst Fachleute, also die Schiedsrichter, zu unterschiedlichen Ergebnissen und einer anderen Regelauslegung kommen können. Die Rechnung ist letztendlich aber einfach: Wenn der Videoassistent sich nicht sicher ist, dass es sich um eine klare Fehlentscheidung des Schiedsrichters handelt, soll er nicht eingreifen.

Hellmut Krug
Der frühere Fifa-Schiedsrichter Hellmut Krug ist Mitglied des Projektteams Videobeweis. Er verteidigt die neue Technik vehement
Quelle: pa/Frank Rumpenh/dpa

WELT am SONNTAG: Der Eindruck ist derzeit ein anderer: Die Schiedsrichter wirken wie Marionetten der Videoassistenten.

Krug: Auch da wird viel hinein interpretiert. Wir haben relativ wenige Kommunikationsprozesse zwischen Schiedsrichtern und Videoassistenten. Die meisten Überprüfungen von Szenen finden im Hintergrund statt und werden gar nicht mit den Schiedsrichtern besprochen. Wenn sich ein Schiedsrichter mal ans Ohr greift, um den Kopfhörer zu kontrollieren, heißt das ja nicht gleich, dass er mit dem Videoassistenten in Kontakt ist. Auch die Kommunikation mit seinen Assistenten im Stadion läuft ja über dieses Headset.

WELT am SONNTAG: Im Duell mit den Bayern wurde gegen Schalkes Naldo ein Elfmeter ausgesprochen, weil er mit erhobenen Händen in den Ball gerutscht war. Bei Schalke gegen Hannover gab es in einer ähnlichen Szene keinen Elfmeter, obwohl 96-Spieler Sané den Ball auch an den Arm bekommen hatte.

Krug: Die Szene mit Sané ist schwierig, er hat die Hand beim Hineingrätschen in die Flanke seitlich neben dem Kopf. Das ist für uns ein Grenzfall und nach Analyse der Fernsehbilder hätten wir einen Elfmeterpfiff vorgezogen. Aber wir akzeptieren, dass der Schiedsrichter den Elfmeter nicht gegeben hat, weil es auch dafür Gründe gab. Es war also kein klarer Fehler, so dass der Videoassistent hätte einschreiten müssen. Der Strafstoßpfiff wäre die bessere Entscheidung gewesen, aber eben darum geht es bei diesem Projekt nicht. Es geht um die einzig richtige, komplett nicht diskutable Entscheidung. Die gibt es eben nicht immer. Bei Naldo hingegen gibt es keine zwei Meinungen: Er hat beide Hände hoch über dem Kopf, wehrt den Ball fast in Torwartmanier ab. Noch einmal: Es wird immer wieder Situationen geben, in denen nicht alle zum gleichen Ergebnis kommen. Aber das Ziel, die klaren Fehler auszumerzen, haben wir jetzt schon in neun Fällen umgesetzt.

WELT am SONNTAG: Ex-Schiedsrichter Bernd Heynemann sagte, der Videobeweis verschiebe nur das Unrecht in andere Bereiche.

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Krug: Was mich am meisten stört an der Debatte, ist die Scheinheiligkeit. Erst ist man nicht bereit, Fehler der Schiedsrichter zu akzeptieren, und schreit jahrelang nach technischer Hilfe. Nun hat das IFAB (International Football Association Board, zuständig für Regeländerungen – d.R.) ein Werkzeug entwickelt, das hilft, grobe Fehler zu verhindern. Und nun wird so getan, als wäre alles noch viel schlimmer als zuvor. Mit Verlaub: Das ist doch Unsinn. Ich diskutiere zehnmal lieber darüber, ob der Videoassistent hätte eingreifen sollen als über klare, spielentscheidende Fehler der Schiedsrichter, wegen denen ein Verein möglicherweise absteigt.

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WELT am SONNTAG: Die „Gefahr“, dass die Stammtische nichts mehr zu debattieren haben, ist jedenfalls gebannt.

Krug: Wir dürfen eines nicht unterschlagen: Die laufende Saison ist ein Test für den Videobeweis. Und diesem Test müssen alle Beteiligten, auch die Öffentlichkeit, Zeit und eine faire Chance geben. Wir alle müssen lernen, mit dem Videobeweis umzugehen, und Erfahrungen sammeln, die eben nur in Livetests gesammelt werden können. Natürlich analysieren wir alles, diskutieren und werden Dinge sehr kritisch einer Prüfung unterziehen. Aber nicht mit einem vorschnellen Urteil nach fünf oder sechs Spieltagen.

WELT am SONNTAG: Sind Sie denn der Meinung, dass der Videobeweis gut funktioniert?

Krug: Ja. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass wir immer noch ganz am Anfang eines großen Projekts stehen, das sich entwickeln muss. Wir haben mit den Schiedsrichtern hunderte Szenen analysiert. Und doch gibt es immer wieder Situationen, die neu sind. Nehmen Sie die Szene mit Casteels und Gentner...

WELT am SONNTAG: Wolfsburgs Torwart erwischte den Stuttgarter beim Ballwegfausten so arg mit dem Knie, dass der k.o. ging. Wie hätte der Schiedsrichter entscheiden sollen? Elfmeter und Rot?

Krug: Elfmeter ja. Rot wäre möglich gewesen, allerdings hätten regeltechnisch im Nachhinein Gelb wegen rücksichtslosen Einsteigens und Strafstoß gereicht.

WELT am SONNTAG: Es gab nichts davon – und auch der Videoassistent blieb stumm.

Krug: Das stimmt, aber für den Schiedsrichter war es nahezu unmöglich, die Szene in Realgeschwindigkeit zu erfassen. Der Videoassistent stufte sie als schweren Unfall und nicht als klare Fehlentscheidung ein, bei der er hätte eingreifen müssen. Damit lag er in der Rückschau nicht richtig. Aber was wichtig ist: Durch den Videobeweis erlangt so eine Szene in der Diskussion eine neue Qualität. Vor dem Einsatz des Videoassistenten hätte man in dieser Situation die Entscheidung des Schiedsrichters zwar kritisiert, aber eben akzeptiert. Heute ist die Erwartungshaltung eine andere – nach dem Motto: Das muss der Videoassistent doch sehen.

WELT am SONNTAG: War die Erwartungshaltung zu hoch?

Krug: Wir haben stets darauf hingewiesen, dass nicht von Anfang an alles reibungslos verlaufen kann und uns durchaus Fehler unterlaufen können. Das ist in einem Entwicklungs- und Lernprozess völlig normal. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass wir nicht auf alles die eine Antwort haben, mit der alle einverstanden sind. Auch sogenannte Experten, die minutenlang sämtliche Fernsehbilder und Zeitlupen zu Rate ziehen, kommen nicht immer zwangsläufig zu einem einheitlichen Ergebnis. Kommentatoren sind im Fernsehen oft unschlüssig oder liegen mit ihren ersten Urteilen bisweilen daneben – das alles wird gern unterschlagen. Sicher wäre es wünschenswert, eine 100-prozentige Gerechtigkeit zu erzielen. Aber das ist unmöglich, es wird auch mit dem Videobeweis nie eine 100-prozentige Gerechtigkeit geben, weil Menschen am Werk sind und keine Roboter. Aber die Entscheidungsqualität, das sehen wir jetzt schon, wird noch besser.

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WELT am SONNTAG: Spieler und Funktionäre wurden vor der Saison in Sachen Videobeweis geschult. Nun befeuern Manager wie Kölns Schmadtke die Debatte, der nach der Partie gegen Dortmund ein Wiederholungsspiel forderte.

Krug: Das sehe ich ein wenig anders. Dass die Kölner sich benachteiligt fühlen, weil in einigen diskutablen Grauzonen-Situationen gegen sie entschieden wurde, ist verständlich. Dennoch waren die Reaktionen durchaus gemäßigt, immer wurde die generelle Sinnhaftigkeit des Videobeweises genannt. Sprich, das Projekt wird von den Vereinen, aber auch von den Schiedsrichtern nicht in Frage gestellt, da alle wissen, dass wir uns in einer Testphase befinden.

WELT am SONNTAG: Was sagen die Schiedsrichter selbst?

Krug: Natürlich gibt es kritische Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge. Das ist im Sinne des Projekts ausdrücklich gewünscht. Aber generell bestätigen die Schiedsrichter, dass der Videobeweis ihnen ein Gefühl der Sicherheit gibt, weil er sie vor groben Fehlentscheidungen bewahrt. Deshalb stehen sie weiterhin hinter diesem Projekt.

WELT am SONNTAG: Halten Sie den Videobeweis für ausgereift?

Krug: Für dieses Urteil ist es noch viel zu früh, wir testen und sammeln wichtige Erfahrungen. Ob es einer Änderung oder Nachbesserung bedarf, können wir zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich sagen. Im März 2018 werden auf einer Sitzung von IFAB und Fifa die Ergebnisse ausgewertet, und es wird ein Resümee gezogen.

WELT am SONNTAG: Es gibt verbandsintern keine Diskussion, den Videobeweis eine Zeitlang auszusetzen, um nachzubessern?

Krug: Nein, überhaupt nicht. Dafür gibt es überhaupt keine Veranlassung, und es wäre auch das Verkehrteste, was wir machen könnten. Man kann doch nicht ein zukunftsweisendes Projekt vorantreiben, indem man es aussetzt. Auch nicht, wenn man Teile der Öffentlichkeit so vielleicht beruhigen würde.

WELT am SONNTAG: Neuerdings wird viel über „Challenges“ gesprochen, bei denen jeder Klub den Videobeweis wie im Tennis selbst anfordern kann.

Krug: Es macht keinen Sinn, darüber zu diskutieren. Wir haben ein verbindliches Protokoll des IFAB, zu dessen Umsetzung jeder beteiligte Verband verpflichtet ist. Kein Nationalverband ist autorisiert, ein eigenes Modell zu entwickeln und umzusetzen.

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