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Des Kaisers falscher Schluß

Sportredakteur
Wie Beckenbauer wirklich zu seinem Beinamen kam

Den grössten Irrtum seines Lebens verbreitete Franz Beckenbauer höchstselbst unterm Volk. Wenn die wachsende Schar derjenigen, die ihn selbst nicht mehr spielen sah, wissen wollte, wie aus dem Franz einst der Kaiser wurde, tischte Beckenbauer stets nonchalant folgende Geschichte auf: Er sei wegen eines Freundschaftsspiels in Wien gewesen und dort von einem Fotografen neben die Büste des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. (1848-1916) gezerrt worden. "Ich und der Kaiser, joa, hahaha, so war des damals." Es machte klick, irgendwann später auch bei Beckenbauer, und so soll nach dessen Erinnerung aus dem Sohn eines Giesinger Postbeamten der Kaiser geworden sein.

Es ist ein gut konservierter Trugschluß. Denn das Foto wurde am 3. August 1971 aufgenommen.

Zu dem Zeitpunkt aber war Beckenbauer bereits zwei Jahr "Kaiser". Schon am 10. Juni 1969, einem Montag, titelte die "Bild": "Franz ist der Kaiser von Bayern". Die Münchener waren zum ersten Mal in der Bundesliga Meister geworden, und Beckenbauer bekam von den Reportern zum dritten Mal in Folge die beste Saison-Durchschnittsnote aller Ligaspieler. Ein Superlativ mußte deswegen her. Gerd Müller war damals schon der "Bomber der Nation", nur Beckenbauer, seinem genialen Doppelpaßpartner, hatten sie für seine Künste noch kein Etikett gegeben.

Vier Tage nach der ersten urkundlichen Erwähnung des Kaisers sollte es eine günstige Gelegenheit für eine weitere Würdigung geben. Die Münchener traten am 14. Juni 1969 zum Pokalendspiel gegen Schalke 04 im Frankfurter Waldstadion an. Das Spiel endete 2:1 für die Bayern, ein programmierter Erfolg. Beeindruckender war, wie Beckenbauer mit Publikum und Gegner umzuspringen beliebte. So stoppte er Schalkes Star "Stan" Libuda, als der zu entwischen drohte, mit einem Griff an die Hose. Libuda trug damals den Ehrentitel "König von Westfalen", Beckenbauers Foul kam einer Majestätsbeleidigung gleich. Die Fans pfiffen bei jedem seiner Ballkontakte, was den Geschmähten zur Provokation verleitete. "Statt sich schuldbewußt zu ducken, nahm Franz den Ball genau in jener Ecke an, wo das Geschrei am vernichtendsten klang, und jonglierte ihn von einem Fuß auf den anderen. Auf den Kopf und wieder auf den Fuß", schrieb der "Tagesspiegel": "Er führte seine Privatvorstellung etwa 40 Sekunden lang fort. Er demütigte den Gegner und dessen Anhänger, hielt Zwiesprache mit dem Volk, selbstbewußt, herausfordernd und vernichtend zugleich." Soviel Selbstherrlichkeit beeindruckte. Herbert Jung schrieb in der "Bild" am darauffolgenden Montag: "Der Schalker Anhang versuchte Kaiser Franz von Bayern vom Thron zu stoßen." Hans Schiefele berichtete in der "Süddeutschen Zeitung" von "Kaiser Franz", der den "König von Westfalen festhielt", und auch der verstorbene Bernd Hildebrandt verlieh Beckenbauer in der Münchner "TZ" den bleibenden Titel.

Eher zufällig lichtete dann zwei Jahre später der österreichische Fotograf Herbert Sündhofer, heute 78 Jahre alt, Beckenbauer neben der Büste des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. ab. Beckenbauer war mit Bayern zum 60. Vereinsjubiläum von Austria Wien in die Hofburg gekommen.

"Ich hab' mir bei dem Foto gar nichts weiter gedacht", sagt Sündhofer. Er erzählt, daß wohl der österreichische "Kicker"-Korrespondent Sepp Graf die Mär in die Welt gesetzt hat. Groß rausgekommen ist Sündhofer indes nicht. Das Foto wurde nur ein paar Mal in Österreich gedruckt. Vor drei Jahren wurde er aber in die Talkshow von Reinhold Beckmann eingeladen. Beckenbauer war zu Gast, und Sündhofer sollte über sein Foto berichten. Doch er kam nicht dran. Die Sendung wäre sonst zu lang geworden, entschuldigte sich Beckmann bei ihm, Beckenbauer habe einfach zu ausschweifend von seinem Leben erzählt.

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