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Japan Dort kämpfen

Deutscher Wein und US-Jeans, französische Parfums und Italo-Schuhe sind in Japan begehrt wie nie zuvor. Die Japaner versuchen, das Vordringen der Auslandsfirmen zu bremsen.
aus DER SPIEGEL 19/1973

»Jeden Menschen«, so versicherte vor kurzem Malcolm Baldridge, Chef des US-Haushaltswarenunternehmens Socvill Manufacturing Co, »der mir noch vor zwei Jahren gesagt hätte, ich würde einmal ausgerechnet nach Japan verkaufen, hätte ich für verrückt erklärt.«

Heute verkauft Baldridge seine Hausgeräte in Japan und hält diese Entscheidung für die »beste meines Lebens«. Wie den Fabrikanten von Haushaltsgeräten Baldridge zieht es Unternehmer aller Branchen und Länder in den Fernen Osten.

»Der japanische Markt«, so begeisterte sich Luciano Cohen, Chef der japanischen Olivetti-Firma Olivetti Corporation of Japan, »bietet noch ungeahnte Möglichkeiten.« Schon heute liefert Olivetti über eine 1961 gegründete Verkaufsorganisation jede vierte in Japan verkaufte Schreibmaschine und jedes dritte Mikrocomputer-System.

Auch Westdeutschlands Miederwaren-Konzern Triumph ("Triumph krönt die Figur") steuerte seinen Beitrag zur Entdeckung des fernöstlichen Neulands bei: »Wir haben«, triumphierte Rudolf Dreher, Chef von Triumph International in Japan, »den Japanerinnen beigebracht, daß sie auch Brüste haben.«

Für Japans flachbusige Frauen, die vor 1969 vorwiegend mit dem traditionellen Brustwickel unter dem Kimono auskamen, produziert ·heute die 1963 gegründete japanische Triumph-Niederlassung 2,4 Millionen BH und andere Miederwaren im Jahr. »Die Nachfrage«. so Dreher, »steigt ständig.«

In der Tat sind in Japans Läden westliche Waren, von amerikanischen Nietenhosen bis zu deutschem Sauerkraut, in Mode gekommen. Statt des traditionellen Reisweins schlürfen Millionen Japaner heute sogar Rheinwein, den sie unter anderem reisenden Händlern des Bingener Weinversenders Elmar Pieroth abkaufen.

Neuerdings will auch Frankfurts Versandhändler Neckermann ins Japan-Geschäft einsteigen. Die Absatzchancen im fernöstlichen Inselreich versucht auch die westdeutsche Lebensmittelkette Edeka zu nutzen.

Bei Japans kaufkräftigem 106-Millionen-Volk -- ein Japaner verdient im Durchschnitt etwa soviel wie ein Brite (1080 Mark im Monat) -- gilt es sogar als schick, West-Waren zu kaufen, die, wie eine Leica, oft erheblich teurer sind als einheimische Erzeugnisse. »Die Japaner«, so erklärte der Tokioter Wirtschaftsprofessor Mitsuru Inuta den Trend, »entwickeln sich mit steigendem Wohlstand zu vollblutigen, westorientierten Konsumenten -- und zwar rapide.«

Der schwedische Japan-Experte Hakan Hedberg sieht in Japan gar »Europas Markt von morgen«. Hedberg: »Es ist an der Zeit, mutig auf den japanischen Markt zu gehen und dort zu kämpfen.« Bis 1985 werde Japan Güter im Wert von 3300 Milliarden Mark importieren. Im vergangenen Jahr bezogen die Japaner für rund 67 Milliarden Mark Waren aus dem Ausland.

1964 schliefen beispielsweise noch neun von zehn Japanern auf einer Baumwollmatte, die des Abends auf dem Strohmatten-Fußboden ausgerollt wird. Wohnzimmer-Einrichtungen im westlichen Stil waren fast unbekannt. Heute besitzt jeder vierte Japaner eine Wohnzimmergarnitur, und schon jeder fünfte schläft in einem westlichen Bett.

Noch vor wenigen Jahren war vom japanischen Drang zur Verwestlichung wenig zu spüren. Denn wie kein anderes Land hatte Tokios Regierung das Inselreich durch hohe Zollmauern und Einfuhrquoten vom Weltmarkt abgeschirmt. Westlichen Industriefirmen war es fast unmöglich, Zweigniederlassungen in Japan zu gründen.

Erfolg der Isolierpolitik: Trotz größter Anstrengungen verschiffte Westdeutschlands Industrie im vergangenen Jahr nur Waren für 1,9 Milliarden Mark in das zweitgrößte Industrieland des Westens -- etwa soviel wie in das Fischereiland Norwegen.

Heute hingegen hat Japans Industrie- und Handelsminister Yasuhiro Nakasone -- zumindest offiziell -- die Handeisbarrieren abgeräumt. Geschützt blieben lediglich 33 Warengruppen und Schlüsselindustrien wie die Automobil- und die Computerbranche -- Industriezweige, in denen die Japaner die Konkurrenz besonders fürchten.

In einer neuen Liberalisierungsrunde baute Tokio mit Wirkung vom 1. Mai weitere Schranken ab. So ist es Ausländern künftig erlaubt, auch bestehende japanische Firmen zu 100 Prozent zu übernehmen. Bisher war es westlichen Unternehmen nur möglich, höchstens 25 Prozent einer einheimischen Firma zu übernehmen. Höhere Beteiligungen waren Ausländern nur dann gestattet, wenn sie zusammen mit einem japanischen Partner ein neues Unternehmen gründeten.

Bei der Liberalisierung jedoch war Tokio stets peinlich auf die Interessen der eigenen Industrie bedacht. So kündigte Japans Regierung zwar Anfang März an, sie hebe die Einfuhrsperren für Computer auf. Tatsächlich liberalisiert wird aber erst 1977. Bis dahin, so stimmte sich die Regierung mit der Computerindustrie ab, könne Japan den technologischen Rückstand, vor allem gegenüber Amerikas Computer-Giganten IBM, aufgeholt haben.

Oder: Will ein Automobilhersteller ein neues Modell in Japan verkaufen, dann muß der Wagen einem sechsmonatigen Generaltest unterzogen werden, selbst wenn nur Äußerlichkeiten wie ein Kühlergrill geändert wurden.

Antike Möbel aus dem Ausland (neuerdings von Japans Oberschicht stark gefragt) müssen, so verlangen es Japans Importvorschriften, mindestens einhundert Jahre alt sein. Durch ein Testat muß die ausländische Firma das Alter beweisen. Das Testat wiederum muß von japanischen Experten verifiziert werden. Für diese Arbeit sind in Japan jedoch nur zwei Sachverständige bestellt, von denen einer ständig unabkömmlich, krank oder auf Reisen ist.

Den Import von Lebensmitteln -- von Japans organisierten Bauern besonders stark bekämpft -- bremsen die Behörden durch »eine Barriere von Vorschriften, die in dem deutschen Exporteur das Gefühl hervorrufen müsse, in einem Land der Seuchen und der Unreinheit zu leben« (so der Leiter der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Tokio, Bernhard Großmann).

Oft nehmen Japans Importwächter auch an bloßen Äußerlichkeiten Anstoß. So darf etwa importierte Schokolade nicht in das in Europa übliche Silberpapier eingepackt sein. Fruchtsaftflaschen müssen mit Kronenkorken verschlossen sein, Flaschen mit Schraubverschlüssen werden zurückgewiesen.

Außer solchen nicht-tarifären Handelshemmnissen verleidet auch das verschlungene Vertriebssystem der Japaner westlichen Firmen das Japan-Geschäft. In Japan gibt es nicht weniger als 1,5 Millionen Läden (Zahl der Läden in den USA: 1,7 Millionen). Meist sind die Kleinstgeschäfte in engen, winkligen Seitenstraßen versteckt und nur für Eingeweihte auffindbar.

Der Großhändler, der die Auslandsware annimmt, kennt allenfalls die regionalen Großhändler. Selbst diese wissen in dem Ladengewirr nicht Bescheid und geben die Ware -- mit Aufschlag -an Nachbarschafts- und Straßengrossisten ab, die sie ihrerseits an die Läden weiterreichen.

Gelingt es einem Hersteller trotz aller Hemmnisse, sein Produkt auf Japans Mark zu verkaufen, dann »kann er sich auf die Japaner als Kunden verlassen«, wie Ludwig Koellmann, Japan-Vertreter der Kronberger Braun AG zu berichten weiß. Denn: »Die Japaner kaufen es immer wieder.«

Oft erstehen Japaner einen Ersatzrasierer oder ein neues Fernsehgerät selbst dann, wenn der alte Apparat nur mal defekt ist. Reparierte Geräte sind nicht schick, daher muß ein neues her -- meist von der alten Marke.

Freilich: Wer es als Ausländer in Japan zum Erfolg gebracht hat, setzt sich unweigerlich der Kontrolle seiner japanischen Konkurrenten -- zuweilen sogar staatlicher Stellen -- aus. Zumeist erhält dann der Ausländer den Rat, es sei im eigenen Interesse besser, im Betrieb einen sogenannten Berater anzustellen. Tut er es, stellt er bald fest, daß die Berater, meist pensionierte Beamte des Wirtschaftsministeriums oder ehemalige Funktionäre des Industrieverbandes Keidanren, in Wahrheit Spione sind, die alles, was in der Firma vorgeht, weitertragen.

Gelegentlich freilich leisten die Berater auch ihren ausländichen Arbeitgebern gute Dienste. So pflegt etwa Hans-Joachim Buhr, Chef der deutschen Überseeischen Bank in Tokio, für Verhandlungen mit Japanern einen einheimischen Berater einzusetzen. »Wenn er dann zurückkommt«, meint Buhr, »und sagt: »Feeling is good' -- dann hat er auch etwas erreicht.«

Auf eine gute gefühlsmäßige Übereinstimmung -- Kimochi genannt -- kommt es in Japan mehr als in anderen Ländern an. »Man kann«, so meinte R. D. Chandler von der japanischen Vertretung von Unilever, »nicht einfach in Japan mal schnell aus dem Flugzeug steigen, die eine Tasche voller Geld und in der anderen ein wunderbares Produkt.«

Vor allem müssen ausländische Unternehmer viel Geduld für die Verhandlungen mit japanischen Partnern aufbringen. Denn in Japan werden Entscheidungen niemals von einem Mann allein gefällt, sondern in zeitraubenden Besprechungen eines Management-Teams. »Japaner«, erklärte Masaaki Imai, Leiter der Wirtschaftsforschungsstelle Cambridge Research Institute Japan, »glauben nicht an den individuellen Star, sondern an die Harmonie einer Gruppe an der Spitze.«

Wer kurz und sachlich übers Geschäft sprechen kann, wird in Japan zwar höflich behandelt, aber im Grunde verachtet. Noch immer gilt es bei Japans Industrieführern als feine Sitte, nach den Geschäftsverhandlungen noch ein Gespräch über ein kulturelles Thema -- Kunst, Literatur, Philosophie -- zu beginnen.

Westdeutsche Geschäftsleute sind da überfordert. Nur die wenigsten beherrschen Japanisch in Wort und Schrift. »Viele«, so klagte ein Handelskammer-Mitglied, »kommen her und können nicht einmal richtig Englisch.«

Irritiert sind westliche Geschäftsleute auch, wenn sie von den Japanern kein klares Ja oder Nein zu hören bekommen. »Die Verständigung funktioniert hier anders«, meinte Wirtschaftsforscher Imai, »man drückt sich viel lieber in den grauen Zonen zwischen Ja und Nein aus und gibt dem Partner indirekt zu verstehen, was man meint.«

Freilich können solche Andeutungen auch leicht vom unerfahrenen West-Partner mißverstanden werden. »Wenn mir ein Japaner sagt: »Ihr Angebot ist interessant, aber wir müssen es sorgfältig prüfen«, dann heißt das für mich ein klares Nein«, berichtete der österreichische Stahlhändler. Frank Korn.

Oft begehen europäische oder amerikanische Japan-Händler auch den Fehler, Mitarbeiter nach Japan zu entsenden, die nach japanischen Vorstellungen zu jung (sprich: unter 40 Jahre alt) sind. Bei Japans bejahrten Bossen (oft 80 Jahre alt) gelten die jungen Leute aus dem Ausland häufig als unqualifiziert. »Sie glauben ihnen einfach nicht«, meinte Alexander Fischer von der deutschen Handelskammer in Tokio, »daß sie bei ihren Firmen schon etwas zu sagen haben.«

Trotz derlei Widrigkeiten ist auf die Dauer, so meinen japanische Experten, das Vordringen ausländischer Firmen in Japan nicht zu bremsen. Denn sogar die Greise im allmächtigen Industrieverband Keidanren, bisher Drahtzieher des Widerstandes gegen die Ausländer, schwenken -- aus Angst vor Handelsrepressalien seitens der Amerikaner und Europäer -- mehr und mehr auf eine neutrale Linie ein. »Jeder«, so der Keidanren-Offizielle Toshiro Shimanouchi, »soll hier seine Chance haben.«

Andere Industrie-Sprecher gehen sogar noch weiter. Meinte Yoshio Kato, Vorsitzender des Kansai-Industrieverbandes von Osaka: »Konkurrenz bewahrt uns davor, faul zu werden. Eines Tages werden wir soviel ausländische Unternehmen haben wie Westdeutschland. Damit werden wir fertig.«

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